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Darwinia

Darwinia

Titel: Darwinia Kostenlos Bücher Online Lesen
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wohlweislich aus zweiter Hand und ziemlich schräg. Spiritismus war Ketzerei in diesen neo-frommen Tagen, aber eben nur amerikanische Ketzerei, verzeihlicher als beispielsweise der Katholizismus mit seinen lateinischen Messen und abhanden gekommenen europäischen Päpsten. Und als er seine Schuldigkeit als Kuriosum getan hatte, lächelte er bloß noch und lauschte der Konversation, die ihn umspülte wie der Fluss den Stein.
    Vor allem anfangs war es ihm nicht leicht gefallen, angesichts von so viel Luxus Haltung zu bewahren. Nicht dass ihm Luxus völlig fremd gewesen wäre. Er stammte aus einem wohlsituierten Haus in New England – von dem er sich wie ein rebellischer Engel losgesagt hatte. Er wusste eine normale Gabel von einer Kuchengabel zu unterscheiden. Aber seither hatte er unter vielen Brücken geschlafen und dieses Ambiente überstieg alles, was er je zu Gesicht bekommen hatte. Elektrisches Licht und Domestiken; Rindfleisch, in papierdünne Scheiben geschnitten; Hammelfleisch mit Minzsoße.
    Olivia bediente, eine hübsche und scheue Negerin, deren Häubchen grundsätzlich schief saß. Vale hatte Mrs. Sanders-Moss gedrängt, das Mädchen nach dem Wiederauffinden des Taufkleidchens nicht zu bestrafen, womit er einmal seine Herzensgüte bewies und sich zum anderen bei dem Mädchen einschmeichelte, was nicht schaden konnte. Doch Olivia ging ihm beharrlich aus dem Weg; sie schien ihn für einen bösen Geist zu halten. Was nicht ganz falsch war, auch wenn Vale das Adjektiv so nicht stehen lassen würde. Die Ärmste ahnte ja nicht, wie viele Dimensionen das Universum hatte.
    Sie servierte den Nachtisch. Das Tischgespräch wandte sich der Finch-Expedition zu, die England erreicht hatte und sich anschickte, über den Ärmelkanal zu setzen. Für die Tochter des Kongressabgeordneten, die links von Vale saß, war es ein kühnes und interessantes Unterfangen. Der junge Verwaltungsbeamte (sagen wir) für die Erforschung der Mollusken fand, der Kontinent sei bestimmt nicht so gefährlich wie England.
    Die Tochter des Kongressabgeordneten war da anderer Meinung. »Eigentlich ist es ja Europa, wovor sie Angst haben sollten.« Sie runzelte artig die Stirn. »Alles, was da kreucht und fleucht, soll hässlich sein, das meiste sogar tödlich.«
    »Nicht so tödlich wie Menschen.« Der junge Beamte rechts von Vale gab sich zynisch. Vielleicht weil er reifer erscheinen wollte.
    »Sei nicht anstößig, Richard.«
    »Und selten so hässlich.«
    »Sie sind mutig.«
    »Sehr mutig, aber ich an ihrer Stelle hätte mehr Angst vor den Partisanen. Oder vor den Engländern.«
    »Dazu war kein Anlass.«
    »Noch nicht. Aber die Engländer sind nicht gut zu sprechen auf uns. Immerhin beliefert Kitchener die Partisanen mit Lebensmitteln.«
    »Das ist ein Gerücht, und Sie sollten es nicht wiederkäuen.«
    »Sie gefährden unsere Europapolitik.«
    »Wir sprachen doch über die Finch-Expedition, nicht über die Engländer.«
    »Preston Finch kann einen Fluss benutzen, aber es werden mehr Leute durch Kugeln sterben als durch Stromschnellen. Oder Monster.«
    »Sag nicht Monster, Richard.«
    »Strafen Gottes.«
    »Nur schon der Gedanke lässt mich schaudern. Partisanen sind wenigstens Menschen.«
    »Liebes Mädel. Ich nehme an, Dr. Vale wäre arbeitslos, wenn Frauen nicht dazu neigen würden, alles zu romantisieren. Hab ich Recht?«
    Vale setzte sein bestes und öligstes Lächeln auf.
    »Frauen fällt es leichter, die Unendlichkeit zu sehen. Vielleicht sind sie unerschrockener.«
    »Siehst du!« Die Tochter des Kongressabgeordneten errötete vor Glück. »Die Unendlichkeit, Richard.«
    Vale hätte ihr zu gerne die Unendlichkeit gezeigt. Es würde ihr die hübschen Augen zu Asche verbrennen, dachte er. Es würde ihr das Fleisch vom Schädel schälen.
     

     
    Nach dem Dinner zogen sich die Männer mit ihren Brandys in die Bibliothek zurück, und Vale blieb bei den Frauen. Es wurde auffallend viel über Neffen beim Militär geredet und deren unbedachte Äußerungen, über Gatten, die Überstunden im Außenministerium machten. Vale spürte eine gewisse Resonanz in diesen Omen, konnte aber die Bedeutung nicht ergründen. Krieg? Krieg mit England? Krieg mit Japan? Nichts davon erschien ihm plausibel… doch Washington war seit Wilsons Tod ein glitschiger Brunnen, finster und leicht zu vergiften.
    Dringend um Rat ersucht, beschränkte Vale sich auf Salon-Prophezeiungen. Verschollene Katzen und Kinder in der Fremde; die Angst vor Gelbfieber, Polio und

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