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Das 1. Buch Des Blutes - 1

Das 1. Buch Des Blutes - 1

Titel: Das 1. Buch Des Blutes - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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ablesen ließen. Quaid sah nackt aus - so ohne jeglichen Hinweis darauf, wie und wodurch denn er auf seine Kosten kam. War er ein Schwuler, ein Feminist, einer von der Rettet-die-Wale-Kampagne; oder ein faschistoider Vegetarier? Auf was stand er, Himmel noch mal?
    »Du hattest doch Altnordisch belegen sollen«, sagte Quaid.
    »Wieso?«
    »Die machen sich im Seminar nicht mal die Mühe, die Abschlußarbeiten zu zensieren«, sagte Quaid.
    Also davon hatte Steve nichts gehört.
    Quaid laberte weiter: »Sie werfen sie einfach alle in die Luft. Erste Seite nach oben, ‘ne Eins. Erste Seite nach unten, ‘ne Zwei.«
    Ah, nur ein Scherz. Quaid gab sich witzig. Steve versuchte zu lachen, aber Quaids Gesicht blieb ganz unbewegt.
    »Du solltest echt dein Altnordisch machen«, sagte er wieder. »Wer braucht denn überhaupt schon den Bischof Berkeley. Oder Plato.
    Oder…«
    »Oder?«
    »Alles Kacke.«
    »Ja.«
    »Ich hab’ dich beobachtet, in dem Philosophie-Seminar…«
    Steve fing an, sich über Quaid zu wundern.
    »… Du schreibst nie was mit, oder?«
    »Nein.«
    »Hab’ mir gedacht, entweder hast du das absolute Selbstvertrauen, oder ‘s ist dir einfach piepegal.«
    »Weder noch. Ich kenn’ mich bloß hinten und vorn nicht aus.«
    Quaid grunzte und zog eine Packung billige Zigaretten heraus. Auch damit tanzte er wieder aus der Reihe. Man rauchte entweder Gauloises, Camel oder überhaupt nicht.
    »Was sie uns hier beibringen, ist nicht die wahre Philosophie«, sagte Quaid mit unmißverständlicher Verachtung.
    »Ach was?«
    »Wir kriegen bloß ein bißchen Plato eingetrichtert, oder ein bißchen Bentham - keine wirkliche Analyse. Natürlich ist das, was wir vorgesetzt kriegen, mit allen spezifischen Merkmalen ausgestattet. Es sieht aus wie die Bestie: Für die Uneingeweihten hat es sogar ein bißchen was vom Geruch der Bestie.«
    »Welcher Bestie?«
    »Der Philosophie. Der wahren Philosophie. Sie ist eine Bestie, Stephen. Find’st nicht auch?«
    »Also nicht, daß ich bisher…«
    »Sie ist wild. Sie beißt.«
    Quaid grinste, hatte plötzlich etwas von einem Fuchs. »Ja. Sie beißt«, fügte er hinzu. Ah, das gefiel ihm. Nochmals, wie um es zu beschreien: »Beißt.«
    Stephen nickte. Die Metapher sagte ihm rein gar nichts.
    »Eigentlich müßten wir uns durch unser Studienfach wie zerfleischt vorkommen.« Quaid erwärmte sich für das ganze Fachgebiet der Verstümmelung durch Bildung. »Fürchten sollten wir uns, weil wir mit den Ideen, über die wir eigentlich ernsthaft reden müßten, bloß herumjonglieren.«
    »Wieso?«
    »Weil wir uns, wenn wir Philosophen wären, die diesen Namen verdienen, keine akademischen Mätzchen leisten und Nettigkeiten an den Kopf werfen würden. Wir würden uns nicht mit dem Wischiwa-schi der Semantik begnügen und linguistische Tricks anwenden, um die wirklichen Belange zu verdecken.«
    »Sondern?«
    Steve kam sich langsam wie der Stichwortgeber in Quaids Komödie vor. Nur daß Quaid nicht zum Scherzen aufgelegt war. Sein Gesicht war starr, verbissen: Die Nadelstiche seiner Iris hatten sich zu winzigen Punkten zusammengezogen.
    »An die Bestie sollten wir heranrücken, so nah wie möglich, Steve, oder was meinst du? Uns nach ihr ausstrecken und sie streicheln, sie tätscheln, sie melken…«
    »Was… äh… was ist eigentlich die Bestie?«
    Quaid war vom Handgreiflich-Pragmatischen dieser Frage offensichtlich leicht genervt.
    »Der Gegenstand jeder Philosophie, die wirklich was bringt, Steve.
    All das, was uns ängstigt, weil wir’s nicht verstehen. Das Dunkel hinter der Tür.«
    Steve dachte an eine Tür. Dachte an das Dunkel. Langsam begriff er, worauf Quaid mit seinem labyrinthischen Vorgehen hinauswollte.
    Philosophie war eine Methode, die Angst zu bereden.
    »Die innerste, wesentlichste Dimension unserer Psyche, die sollten wir zum Thema machen«, sagte Quaid. »Andernfalls… kann’s uns passieren…« Unversehens wurde Quaid von seiner Redseligkeit im Stich gelassen.
    »Was?«
    Quaid starrte sein leeres Brandy-Glas an, als könnte er es durch reine Willenskraft wieder auffüllen.
    »Noch einen?« fragte Steve und hoffte inständig auf ein Nein als Antwort.
    »Was uns passieren kann?« wiederholte Quaid. »Also, ich glaube, wenn wir uns nicht auf die Suche nach der Bestie machen…«
    Steve sah den Knalleffekt kommen.
    »… dann macht sich früher oder später die Bestie auf, um uns zu suchen.«
    Keine Wonne kommt der des Grauens gleich. Solange es nicht das eigene

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