Das 1. Buch Des Blutes - 1
dein Selbstvertrauen hat was Großes zu vertuschen.«
»Womit wir wieder bei den Schreckgespenstern wären.«
»Großen Schreckgespenstern.«
»Nicht so vage: beschreib genau, worum’s dir geht.«
»Wie soll ich dir sagen, wovor du dich fürchtest.«
»Dann sag mir, wovor du dich fürchtest.«
Quaid zögerte. »Letztlich«, sagte er, »entzieht sich das der Analyse.«
»Entzieht sich der Analyse, mein Arsch!«
Unwillkürlich verzogen sich Steves Lippen zu einem Lächeln. Cheryls Arsch entzog sich in der Tat der Analyse. Auf ihn konnte man nur mit Hinknien reagieren und mit Anbetung.
Quaid tönte wieder vom Rednerpult herunter. »Was ich fürchte, geht nur mich persönlich was an. In einem umfassenderen Kontext besagt es gar nichts. Die Zeichensprache meines Grauens, die Vorstellungen, die mein Hirn ins Spiel bringt, um, wenn ihr so wollt, meine Angst zu illustrieren, diese Zeichen sind relativ harmloses Zeug, verglichen mit dem wirklichen nackten Entsetzen, das in der Tiefe meiner Persönlichkeit schlummert.«
»Ich kenn’ solche Vorstellungen«, sagte Steve. »Bilder aus meiner Kindheit, die Erinnerungen wachrufen…« Er hielt inne, bedauerte bereits seinen Ansatz zur Beichte.
»Woran?« fragte Cheryl. »Meinst du Vorgänge, die mit schlimmen Erlebnissen zusammenhängen? Wie du vom Rad gefallen bist oder so was in der Art?«
»Schon möglich«, sagte Steve. »Manchmal denk’ ich mittendrin an diese Bilder. Nicht mit Absicht, nur wenn meine Konzentration gerade leerläuft. Fast, als ob mein Bewußtsein automatisch zu ihnen abschweifen würde.«
Quaid gab ein kleines zufriedenes Grunzen von sich. »Haargenau«, sagte er.
»Kann man bei Freud nachlesen«, fragte Cheryl.
»Wie?«
»Bei Freud«, wiederholte Cheryl, machte dann ein ironisches Spielchen daraus und wandte sich an ihn wie an ein kleines Kind.
»Sigmund Freud: Hast vielleicht schon gehört von ihm.«
Quaids Lippe kräuselte sich in uneingeschränkter Verachtung. »Mut-terbindungen beantworten das Problem in keiner Weise. Die wahren Schreckensherde in mir, in uns allen, liegen diesseits der Persönlichkeitsstruktur. Der Moloch Angst ist schon da, ehe wir den leisesten Begriff von uns selbst als Individuen haben. Der Daumennagel, in sich gekrümmt im Mutterleib, verspürt das Grauen.«
»Und du erinnerst dich dran, oder?« fragte Cheryl.
»Schon möglich«, entgegnete Quaid todernst.
»An den Mutterleib?«
Quaid zeigte eine Art halb unterdrücktes Lächeln, das, so vermutete Steve, besagte: Ich hab’ sehr wohl Kenntnisse, die du nicht hast.
Es war ein absonderliches, widerwärtiges Lächeln; eins, das Steve lieber nicht gesehen hätte.
»Du bist ein Lügner«, sagte Cheryl, erhob sich gleichzeitig vom Stuhl und strafte Quaid mit Verachtung.
»Vielleicht bin ich das«, sagte er, mit einem Mal der vollendete Kavalier.
Danach hörten die Debatten auf.
Kein Reden über Schreckgespenster mehr, keine Erörterung der nachtmahrischen Dinge mehr, die in der Finsternis rumoren. Den nächsten Monat sah Steve Quaid nur unregelmäßig, und wenn, dann war dieser ständig in Begleitung von Cheryl Fromm. Quaid ging höflich, ja ehrerbietig mit ihr um. Seine Lederjacke trug er nicht mehr, weil Cheryl den Geruch toter tierischer Materie nicht ausstehen konnte. Dieser plötzliche Wandel in ihrer Beziehung brachte Stephen durcheinander; aber er führte das auf sein nur rudimentäres Verständnis sexueller Belange zurück. Er war keine Jungfrau mehr, aber noch immer waren Frauen ein Geheimnis für ihn: widersprüchlich und rätselhaft.
Er war auch eifersüchtig, obwohl er sich das nicht so ganz eingestehen wollte. Daß die Feuchttraumfee so viel von Quaids Zeit in Beschlag nahm, ging ihm gegen den Strich.
Und da war noch ein anderes Gefühl; die merkwürdige Empfindung, daß Quaid Cheryl aus höchstpersönlichen, befremdlichen Gründen hofierte. Sex war nicht Quaids Motiv, da war Steve sich sicher.
Ebensowenig war es die Bewunderung von Cheryls Intelligenz, die Quaid so aufmerksam machte. Nein, er war dabei, sie irgendwie einzukreisen, das spürte Steve instinktiv. Cheryl Fromm wurde klammheimlich zur Schlachtbank getrieben.
Dann, einen Monat später, ließ Quaid im Gespräch eine Bemerkung über Cheryl fallen.
»Sie ist Vegetarierin«, sagte er.
»Cheryl?«
»Cheryl, wer sonst.«
»Ich weiß. Sie hat’s schon mal erwähnt.«
»Ja, aber bei ihr ist’s nicht bloß ‘ne Marotte. Sie hängt mit Leib und Seele drin, fanatisch. Kann’s nicht
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