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Das 2. Buch Des Blutes - 2

Das 2. Buch Des Blutes - 2

Titel: Das 2. Buch Des Blutes - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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brachte er eine echte Begabung zutage, nur einen Bruchteil von der Marys, aber hinreichend, um mit ihr in Verbindung zu treten. Ihre Blicke begegneten sich. In einem See aus blauer Finsternis, ringsum eingesäumt von Vertretern einer Welt, die sie weder kannten noch begriffen, begegneten sich ihre glühenden Herzen und schmolzen ineinander.
    »Es tut mir leid«, sagte er leise. Es war unendlich bejammernswürdig. »Es tut mir leid. Es tut mir leid.« Er sah weg, sein Blick riß sich von ihrem los.
    Sie war sicher, daß sie fast auf der obersten Stufe sein mußte, wenngleich ihre Füße dem Augenschein nach nur auf Luft traten und sie die Gesichter der Reisenden von oben, von unten und von beiden Seiten umstarrten. Aber ganz vage konnte sie den Umriß der Tür, die Dielen und das Gebälk des Zimmers sehen, in dem Simon lag. Er war jetzt von Kopf bis Fuß eine einzige blutige Masse. Sie konnte die Zeichen, die Hieroglyphen, auf jedem Zentimeter seines Leibes, seines Gesichts, seiner Glieder sehen. Einen Moment lang schien er blitzartig in eine halbwegs klare Perspektive zu rücken, und sie konnte ihn in dem leeren Zimmer sehen; die Sonne schien durchs Fenster, und der zersplitterte Krug lag neben ihm. Aber dann versackte ihre Konzentration wieder, und sie sah die unsichtbare Welt sichtbar werden. Er war wieder aufgehängt in der Luft, während sie ihn von allen Seiten beschrieben, ihm die Kopf- und Körperhaare ausrissen, um die Schreibfläche zu säubern; und sie schrieben in seine Achselhöhlen, sie schrieben auf seine Augenlider, sie schrieben auf sein Geschlecht, in die Furche seiner Hinterbacken, auf seine Fußsohlen.
    Beiden Sehweisen waren lediglich die Wunden gemeinsam. Ob sie ihn nun von den Schreibenden bedrängt oder allein im Zimmer sah, er blutete unaufhörlich.
    Jetzt hatte sie die Tür erreicht. Sie streckte ihre zitternde Hand aus, um den Griff in seiner kompakten Wirklichkeit zu berühren, aber selbst unter Aufwendung all ihrer Konzentrationsfä-
    higkeit nahm dieser keine klareren Konturen an. Nur auf ein Geisterbild konnte sie ihre Aufmerksamkeit richten, doch das genügte. Sie packte den Griff, drückte ihn nieder und riß die Tür des Schreibe-Zimmers auf.
    Er war da, direkt vor ihr. Nicht mehr als zwei, drei Meter von Besessenheit geschwängerter Luft trennten sie. Wieder schauten sie sich in die Augen, und ein vielsagender Blick, wie er in der Welt der Lebenden genauso verstanden wird wie in der der Toten, ging vom einen zum anderen. Mitleid war in diesem Blick und Liebe. Die vorgetäuschten Tatsachen schwanden dahin, die Lügen zerfielen zu Staub. An Stelle des kalt dosierten Gelächeis des Jungen trat eine sanfte Warmherzigkeit - die sich in ihrem Gesicht widerspiegelte.
    Und die Toten drehten, verängstigt vor diesem Anblick, die Köpfe weg. Ihre Gesichter spannten sich, als würde die Haut bis zum Zerreißen über die Knochen gezogen. Blutergußfarben verfinsterte sich ihr Fleisch, ihre Stimmen wurden melancholisch angesichts der bevorstehenden Niederlage.
    Sie streckte die Hand aus, um ihn zu berühren, und sie mußte sich nicht mehr gegen die Horden der Toten wehren; allseits fielen sie ab von ihrer Beute wie sterbende Fliegen, die vom Fenster purzeln.
    Sie berührte ihn zart im Gesicht. Ihn berühren hieß ihn segnen. Tranen füllten seine Augen und liefen seine aufgeritzten Wangen hinab, vermischten sich mit dem Blut.
    Die Toten hatten jetzt keine Stimmen mehr, nicht einmal Münder. Sie verloren sich entlang der Verkehrsader, und ihre Bosheit fiel der Verdammnis anheim.
    Schicht um Schicht gewann das Zimmer allmählich seine vertraute Gegenständlichkeit zurück. Die Bodenbretter wurden unter seinem vom Schluchzen geschüttelten Körper sichtbar, jeder Nagel, jede befleckte Diele. Die Fenster traten klar ins Bild, und draußen hörte man Kindergeschrei auf der dämmerigen Straße. Der Transitweg hatte sich dem lebenden Menschenauge vollständig entzogen. Seine Reisenden harten ihr Gesicht der Finsternis zugewandt und waren hingeschwunden ins Vergessen; nur ihre Zeichen und Talismane hatten sie in der greifbaren Welt zurückgelassen.
    Auf dem mittleren Treppenabsatz der Nummer 65 wurde der qualmende und blasenübersäte Körper Reg Fullers achtlos von den Füßen der Reisenden durchschritten, wenn sie die Kreuzung überquerten. In dem Gewühl kam schließlich auch Fullers eigene Seele vorbei und schaute hinunter auf das Fleisch, das ihn einst beherbergt hatte, dann drängten ihn die Massen

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