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Das Alabastergrab

Titel: Das Alabastergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
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sich aus dieser Wolke bald gefährliche Blitze für sie alle entladen.
Für die Mitglieder würde es ganz sicher Strafen geben. In der Vergangenheit
wurden Schüler schon aus weit geringeren Anlässen vom Regens in der Luft
zerrissen. Aber hier drohte weder Stubenarrest noch Gartenarbeit, das hier war
ein ganz anderes Kaliber.
    Alle waren froh, als der Bus endlich kam und sie einsteigen konnten.
Clemens war der Letzte. Kurz bevor er den Bus betrat, bemerkte er, wie ein
schwarzer Mercedes vorfuhr. Ein Chauffeur öffnete dienstbeflissen die Tür des
Fonds, aus dem ein Mann in schlichter schwarzer Robe zum Vorschein kam. Jeder
am Ottonianum kannte ihn.
    »Der Bischof!«, rief Edwin Rast mit überraschter Stimme.
    »Was will der denn hier?«, fragte Alfred Schneidereit verblüfft.
    Clemens schlüpfte schnell in den Bus und setzte sich auf den freien
Platz neben Peter Nickles, während die anderen Schüler des Abschlussjahrgangs
1974 sich ihre Nasen an den Fensterscheiben platt drückten und aufgeregt
durcheinanderschnatterten.
    Nur den Mitgliedern des CADAS schwante, warum der Bischof gekommen war.
    »Jedenfalls hat er heute nicht wie sonst seinen geilen Fummel an«,
flüsterte Mozart und lächelte Clemens an. »War eine starke Nummer heute früh
mit dem Regens. Respekt, Alter.«
    Clemens lächelte kurz zurück, aber Mozart konnte sehen, dass sich
seine Finger so fest in den Ledereinband seines Tagebuchs gruben, dass die
Fingerkuppen bereits weiß waren. Aufmunternd klopfte er ihm noch einmal auf die
Schulter, dann folgte er der Aufforderung der Lehrkraft, sich wieder auf seinen
Platz zu setzen.
    Als sie endlich losfuhren, konnte Clemens sehen, wie der Regens aus
dem Eingang des Ottonianums trat und den Bischof begrüßte. Sekunden später
drehte sich Schleycher noch einmal um und blickte dem Bus mit merkwürdigem
Gesichtsausdruck hinterher.
    Clemens musterte Peter. Das alles zehrte an dem armen Kerl. Binnen
Sekunden war er an seiner Schulter eingeschlafen. Aber auch er selbst war mit
seinen Nerven am Ende. So etwas wie im Büro des Regens hatte er in seinem
kurzen Leben noch nicht erlebt. Die Angst drohte ihn zu überwältigen. Er hatte
nur deshalb nicht zu weinen angefangen, weil er für Peter stark sein musste. Er
hatte doch sonst niemanden, nur ihn. Alles war so schrecklich.
    Der Regens hatte sein Buch gefordert, doch Clemens hatte sich
geweigert. Als er ihm das Tagebuch mit Gewalt hatte abnehmen wollen, war Gott
sei Dank der Hausmeister ins Zimmer getreten. Wegen des Krachs, wie er ihnen
gesagt hatte. Dann hatte er sie mit einem merkwürdigen Blick angeschaut. »Der
Bus wartet auf euch.« Das hatten sich Clemens und Peter nicht zweimal sagen
lassen. Schnell waren sie zwischen dem großen Hausmeister und dem Türrahmen
hindurchgeschlüpft und die Treppe hinuntergerannt. Es war ihnen egal gewesen,
dass der Bus merkwürdigerweise noch gar nicht da war. Hauptsache, sie waren dem
furchtbaren Büro entkommen.
    Der Regens wollte sein Tagebuch. Aber er würde es nicht bekommen.
Niemals. Clemens schaltete seine Emotionen ab, so gut er konnte. Das machte er
immer, wenn er schwierige Aufgaben in der Schule zu lösen hatte. Indem er die
Welt um sich herum komplett ausblendete, wurde er ganz ruhig. Nur noch er und
das Problem, das gelöst werden musste, existierten dann. Es fühlte sich so an,
als würde er in seinem eigenen Kopf sitzen. Aus seinem Ausflugsrucksack kramte
er einen Schreibblock und einen Bleistift hervor. Diesmal würde er den Spieß
umdrehen und selber die Aufgabe stellen. Etwas, an dem sich der Regens die
Zähne ausbeißen sollte. Das Buch würde er jedenfalls nie bekommen.
    *
    Emil Büttner hatte minutenlang wie betäubt auf dem Rollfeld gekniet.
War es jetzt tatsächlich so weit? Es war doch eigentlich schon alles vorbei
gewesen. Das musste doch ein Missverständnis sein oder besser noch ein
schlechter Witz. Ein schrilles und hysterisches Lachen entrang sich seiner
Kehle. Wie gerne würde er jetzt solch einem Scherz aufsitzen. Aber er kannte
die Regeln. Er war dabei gewesen, als sie damals in der letzten Nacht
aufgestellt worden waren. Niemanden ruft jemals wieder ein anderes Mitglied aus
der Gruppe an. Niemals. Außer im Falle der Gefahr. Sie hatten es geschworen.
Über dreißig Jahre hatte er nichts mehr aus der Vergangenheit gehört. Und nun
das.
    Er erhob sich. Es hatte ja doch keinen Sinn. Er musste schnell nach
Hause und mit seiner Frau reden, obwohl sie ihm bestimmt nicht glauben würde.
Sie glaubte

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