Das Alabastergrab
»Mittwochslotto, wenn ich das hier richtig lese. Ich
habe eine außerordentlich erfreuliche Nachricht für Sie.«
Rosemarie Büttner wurden die Knie weich. Alle widerrechtlich
vertilgten Sahnejoghurts dieser Welt waren mit einem Schlag vergessen.
»Oh mein Gott, oh mein Gott!« Sie befürchtete, vor Aufregung ohnmächtig
werden zu müssen. »Ja, aber bitte, kommen Sie doch herein.« Mit sanfter Gewalt
schob sie den Überbringer der frohen Botschaft in den Wohn- und Essbereich.
»Setzen Sie sich doch. Möchten Sie etwas trinken, vielleicht?«, plapperte sie
aufgeregt.
»Ein Wasser wäre nett, vielen Dank.«
Sie eilte in die Küche, um den Wunsch des jungen Manns zu erfüllen,
verschüttete in ihrer Aufregung jedoch die Hälfte der Flasche. Das würde sie in
der Getränkebilanzierung natürlich auf ihrem eigenen Konto verbuchen müssen, dachte
sie beiläufig, während sie in die Wohnstube zurückeilte.
Der Mann hatte seine Aktentasche geöffnet. Sicher um die Urkunden
und Papiere zur Unterschrift herauszuholen, spekulierte sie. Mein Gott, war das
aufregend. Sie wusste gar nicht mehr, was sie mit ihren Händen anstellen
sollte.
»Ist denn Ihr Mann nicht hier?«, fragte der Lottogesandte neugierig.
»Ich bräuchte nämlich von ihm auch eine Unterschrift.«
»Ach der, nein«, winkte Rosemarie ab, »der ist noch auf der Arbeit.
Aber die kann er doch sicher nachreichen?«
»Und Ihre Kinder, sind die auch nicht da?«, fragte Neumann mit immer
noch ausgesuchter Höflichkeit.
»Nein, die sind im Ferienlager in Österreich. Warum? Müssen die etwa
auch unterschreiben?«, fragte sie verwundert.
»Nein, nein«, beruhigte sie Kai Neumann. »Es reicht völlig aus, dass
Sie hier sind, Frau Büttner.« Während er sprach, zog er seine Waffe aus der
Aktentasche und richtete sie auf die sprachlose Familienmanagerin. »Das hier
haben Sie gewonnen«, sagte er, dann drückte er ab.
Rosemarie Büttners Kopf wurde von der Kugel, die sie in die Stirn
traf, nach hinten geworfen. Die Arme baumelten rechts und links am Körper
hinunter, ihr Blut tropfte langsam, aber stetig auf die Terrakottafliesen.
Nikolai legte seine Halbautomatik auf die Seite und betrachtete die soeben
verstorbene Frau. Gekonnt ist eben doch gekonnt, dachte er sich und bewunderte
die Lage des Einschussloches auf der Stirn seines Opfers. Dann machte er sich
ohne weitere Umschweife daran, die Wohnung gründlich zu durchsuchen.
*
Endlich hatte sich der elende Stau aufgelöst, und Emil Büttner
konnte weiterfahren. In der Zwischenzeit hatten sich vor seinem geistigen Auge
allerlei Horrorszenarien abgespielt. Das schlimmste von allen war, dass er
seiner Frau beichten musste, das dunkle Geheimnis all die Jahre für sich
behalten zu haben. Sie würde ihn vernichten, so viel stand fest. Rosemarie
duldete keine Geheimnisse. Trotzdem hatte er ihr klarzumachen, dass sie erst
mal verschwinden mussten. Vermutlich würde sie ihn für völlig übergeschnappt
erklären und sich gegen seine Anordnung wehren. Niemand vertrieb Rosemarie
Büttner so einfach aus ihren eigenen vier Wänden. Aber sie würde verblüfft
reagieren, wenn er seine Koffer packte.
Mein Gott, was war eigentlich die ganzen letzten Jahre mit ihm los
gewesen? Er war doch Ingenieur, er hätte auswandern können, auf die
Kapverdischen Inseln, nach Galapagos, auf den Mond. Aber nein, er musste ja in
Franken bleiben. Immer in Reichweite von »Mordor und seinem dunklen Herrscher«.
Hatte er denn wirklich geglaubt, das Hofer Land wäre ein anderer Planet? Na
gut, von der Temperatur her hätte man das sogar glauben können, aber ansonsten
…
Er bog in seine Straße ein und hielt direkt vor der Gartentür. Alles
war ruhig, Gott sei Dank. Er seufzte erleichtert.
*
Nikolai hatte alles, aber auch wirklich alles ausgeräumt, und wieder
war nichts zu finden gewesen. Er hatte ein verstecktes Bierlager in der
Hobbywerkstatt aufgetan und die geheime schwarze Kasse der Hausherrin entdeckt,
aber kein Buch, das auch nur im Entferntesten so aussah wie auf der
Beschreibung, die man ihm gegeben hatte.
Er stand in der Küche. Der einzig unberührte Ort in diesem Haus war
jetzt noch der Kühlschrank. Als er ihn öffnete, hüpfte sein Herz vor Freude.
Sahnejoghurts! Er hatte zwei Schwächen: Gummibärchen und Sahnejoghurts, und
zwar in genau dieser Reihenfolge. Was hatte er während seiner Zeit in
Tschetschenien nicht gelitten. Dort gab es nichts dergleichen.
Aber hier in Deutschland, da hatte man Kultur, in diesem
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