Das Alabastergrab
Lagerfelds Job waren.
»Kriminalhauptkommissar Haderlein?«, meldete er sich.
»Hier Siebenstädter, Gerichtsmedizin. Wie geht es Ihnen, Herr
Kommissar?«, flötete ihm sein Lieblingspathologe entgegen.
Siebenstädter. Mist, den hatte er völlig vergessen anzurufen. Er war
mit seinen Gedanken so bei dem Gespräch mit dem bayerischen Umweltminister
gewesen, dass er den Pathologen total verdrängt hatte. Schleycher spukte ihm
immer noch im Kopf herum. Jovial und zuvorkommend hatte er bereitwillig
Auskunft gegeben, aber die eine oder andere Reaktion des Politikers hatte Haderlein
stutzig werden lassen. Er konnte es noch nicht auf den Punkt bringen, aber
irgendetwas störte ihn an diesem Mann gewaltig. Doch darüber musste er später
nachdenken, jetzt galt es, Siebenstädter zufriedenzustellen.
»Mir würde es besser gehen, wenn Sie mir aufschlussreiche
Neuigkeiten servieren könnten, Herr Oberarzt. Wissen Sie etwas, was ich noch
nicht weiß, Sie Leichenöffner?«, konterte er. Einen kurzen Moment lang
herrschte Stille am anderen Ende der Leitung, dann hörte man eine Art Schnaufen
und tiefes Luftholen.
»Ich würde sagen, Herr Menschenverhafter, dass mein Wissensstand den
Ihrigen in so ziemlich allen Lebensbereichen übersteigt. Gerade im Moment bin
ich im Besitz wertvoller Informationen, die sich aus dem Umstand der
Leichenöffnung ergeben haben. Deshalb sind Leichenöffner, wie Sie sich so schön
auszudrücken beliebten, nicht selten in der Lage, den ein oder anderen
Kommissar in seiner unnützen Tätigkeit komplett zu ersetzen. Können Sie mir
folgen, Herr Haderlein?«, beendete Siebenstädter seinen selbstverherrlichenden
Monolog.
Haderlein hatte den Kopf an die Kopfstütze gepresst und die freie
Hand schützend über die Augen gelegt. Dieser Typ schaffte es mit einer kaum zu
glaubenden Leichtigkeit, bei ihm immer wieder Kopfschmerzen auszulösen. »Kommen
Sie einfach zur Sache, Siebenstädter«, forderte er ihn entnervt auf.
»Meistens kommen die Sachen zu mir, mein lieber
Kriminalhauptkommissar«, ließ Siebenstädter nicht locker, »vor allem dann, wenn
sie tot sind. Das liegt in der Natur des Faktischen.«
»Siebenstädter, verdammt! Entweder Sie kommen jetzt rüber mit Ihren
überlegenen Erkenntnissen, oder ich lasse Sie verhaften.« Haderlein
explodierte.
Lagerfeld schaute ihn erstaunt von der Seite aus an. Ein erregter
Kollege? So ein Schauspiel gab’s nicht allzu oft. Er würde sich eine
metaphorische Kerbe in seinen Notizblock machen müssen.
Haderlein hörte Siebenstädter durchs Telefon lachen.
»Na gut, Herr Kommissar, ich weiche der Androhung von nackter
Gewalt. Apropos nackt, vor mir liegt ein Haufen toter Gewebeteile, der den
Namen Hubertus Graetzke trägt. Zumindest steht das so auf dem Zettel an seinem
Fuß.«
»Ja und? Dass diese Gewebeteile tot sind, ist nun wirklich nichts
Neues.«
»Das stimmt, Herr Kommissar, aber die Umstände seines Ablebens
wurden durch meine Wenigkeit kreativ und originell gelöst, so würde ich es
formulieren. Da hat sich jemand Unbekanntes die Mühe gemacht, meine analytische
Leistungsfähigkeit herauszufordern. Nicht dass ich vor Ehrfurcht erstarren
muss, denn dazu war die Methode dann doch zu simpel …«
»Herr Siebenstädter, bitte!« Haderlein hatte keine Lust mehr, sich
dieses selbstbeweihräuchernde Gesülze noch länger anzuhören.
»Nun gut, wie Sie meinen, Herr Polizeirat. Nur so viel: Ertrunken
ist der gute Mann nicht. Er war schon längst tot, als er Bekanntschaft mit den
Wassern des Mains machte.«
»Wirklich?« Haderlein horchte auf. »Und wie wurde er dann
umgebracht? Und jetzt bitte keine pseudowissenschaftlichen Abhandlungen mehr,
Siebenstädter, ich habe Kopfschmerzen.«
»Der Mann wurde mithilfe eines Giftstoffs umgebracht, der sowohl
genial einfach zu beschaffen, weil überall erhältlich, als auch absolut tödlich
ist. Nur damit das klar ist, nachweisen wird Ihnen dieses Gift nur ein
hervorragend ausgebildeter Gerichtsmediziner, der …«
»Siebenstädter!«, fauchte Haderlein drohend. »Schluss jetzt. Was für
ein Gift?«
»Nikotin«, kam es endlich kurz, schmerzlos und präzise von
Siebenstädter.
»Äh, wie jetzt? Mit Nikotin umgebracht?« Haderlein war platt. Auf
dem Nebensitz bekam Lagerfeld einen spontanen Hustenanfall und spuckte dabei
ganz aus Versehen seine Zigarette aus dem Fenster.
»Hat man den Mann zu Tode geraucht, oder wie muss ich mir das
vorstellen?«, fragte Haderlein hilflos.
»Oh nein, Herr Kommissar, über
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