Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
herausgestreckt und schrie immer lauter. »Die zwei Minuten hätten Sie doch wohl warten können!«
Fassungslosigkeit spiegelte sich im Blick der Frau, als Petra unauffällig die Klinge des Skalpells aufblitzen ließ. Wie erstarrt fixierte sie es und machte keine Anstalten, wegzulaufen.
Petra steckte das Messer weg.
Es war heute schon das zweite Mal, dass sie einen Verfolger stellte, und es war auch das zweite Mal, dass sie auf Englisch angesprochen wurde. Arno von der Leyen und diese Frau hatten auch über die Sprache hinaus etwas gemeinsam, dessen war sie sich ganz sicher.
»Was habe ich denn getan?«, fragte die Frau schlicht.
»Wie lange folgen Sie mir schon?«
»Seit heute Vormittag. Seit Sie meinen Mann im Park getroffen haben.«
»Ihren Mann? Wen meinen Sie?«
»Sie haben ihn heute zweimal getroffen, das können Sie nicht bestreiten. Erst im Stadtgarten und dann in der Weinstube des Hotel Rappen.«
»Sie sind mit Arno von der Leyen verheiratet?« Überrascht sah Petra die große Frau an.
Diese versuchte offenbar, sich zu fassen. »Arno von der Leyen? So nennt er sich?«
»Unter diesem Namen kenne ich ihn seit fast dreißig Jahren.«
Die Englisch sprechende Frau wirkte einen Moment sehr verwirrt. »Das ist doch ein deutscher Name?«
»Ja, natürlich«, entgegnete Petra.
»Aha. So natürlich finde ich das nicht. Er ist nämlich mein Mann, und er ist Engländer und heißt ganz bestimmt nicht Arno Sowieso, sondern Bryan Underwood Scott. So hat er schon immer geheißen. So steht es auf seiner Geburtsurkunde und so hat seine Mutter ihn genannt, bis sie starb. Warum also nennen Sie ihn Arno von der Leyen? Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Oder wollen Sie mir einfach nur mit dem Ding da die Kehle durchschneiden?«
Obwohl Petra nur die Hälfte des aufgeregten Wortschwalls verstanden hatte, war sie wie gebannt von diesem Ausbruch der fremden Frau. Selbst das nicht zu knappe Make-up konnte die vor Aufregung geröteten Wangen nicht verbergen. Ihre Entrüstung war echt.
»Drehen Sie sich mal um«, sagte Petra. »Was sehen Sie?«
»Nichts«, antwortete Laureen. »Eine leere Straße. Meinen Sie die?«
»Können Sie das große C auf der Fassade dort hinten sehen? Das ist das Café eines Hotels. Wenn Sie mir versprechen, mir dorthin zu folgen, ohne Sperenzchen zu machen, werde ich das hier nicht benutzen.« Petra ließ noch einmal das Skalpell aufblitzen und steckte es dann weg. »Ich glaube, es ist das Beste, wenn wir miteinander reden.«
47
KOMMENTARLOS SERVIERTE der Kellner den Tee in einer Kaffeetasse. Laureen ließ das Gebräu eine ganze Weile vor sich hin dampfen, bis sie sich dazu herabließ, es zu probieren. Die beiden Frauen schwiegen. Die zierliche Frau wirkte auf Laureen, als stünde sie unter Strom. Immer wieder sah sie auf die Uhr, und jedes Mal hob sie zum Sprechen an, sagte dann aber doch nichts.
Schließlich brach Petra das Schweigen. Ihr Englisch war nicht gut, aber einigermaßen verständlich. »Das Ganze kommt mir wie ein einziges großes Puzzlespiel vor.«
Laureen nickte.
»Und ich habe das dumpfe Gefühl, dass hier ein gefährliches Spiel gespielt wird. Vielleicht ist sogar jemand in Lebensgefahr, ich weiß es ja auch nicht. Aber wenn wir Schlimmeres verhindern wollen, müssen wir hier und jetzt versuchen, dieses Puzzle gemeinsam zusammenzusetzen. Verstanden?«
»Ich glaube schon.« Laureen bemühte sich, ein freundliches Gesicht zu machen. »Aber wer ist in Gefahr? Meinen Sie etwa, mein Mann …?«
»Durchaus möglich. Und sehen Sie es mir bitte nach, aber Ihr Mann interessiert mich weniger. Ich traue weder ihm noch Ihnen über den Weg, verstanden?«
»Ach, ja? Wissen Sie was? Ich habe nicht die geringste Ahnung, wer Sie sind! Ich sehe Sie heute zum ersten Mal in meinem Leben. Was weiß denn ich? Sie behaupten, Sie kennen meinen Mann seit dreißig Jahren, aber unter einem anderen Namen. Und ich habe das dumpfe Gefühl, dass Sie über Informationen verfügen, die möglicherweise seit vielen,vielen Jahren für unsere Ehe von Bedeutung sind. Glauben Sie etwa, ich traue Ihnen über den Weg?« Laureen warf noch ein Stück Zucker in die braune Flüssigkeit, die der Kellner »Tee« genannt hatte, und lächelte Petra säuerlich an. »Aber was soll ich machen? Ich habe vermutlich keine andere Wahl.«
»Nein, da haben Sie wohl Recht.« Die Frau lachte schallend auf. »Wissen Sie was? Ich heiße Petra. Auch für Sie. Petra Wagner.« Sie nickte entschlossen. »Ich habe Ihren Mann
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