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Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus

Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus

Titel: Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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Ganz gleich, was der Grund für die Prügelstrafen war, sie hatten in ihrer Gesamtheit zur Folge, dass Gerhart Peuckert auf gar nichts mehr reagierte, was die drei ihm antaten. Die Abstrafungen waren im Laufe der Jahre immer seltener und die Schläge weniger brutal geworden.
    Bis heute.
    Noch einmal zählte Gerhart die Rosetten und noch einmal versuchte er, die Wörter nicht an sich heranzulassen. Im Nachbarzimmer hatte der Alte längst aufgehört, sich zu räuspern. Gerhart konnte seinen schweren, regelmäßigen Atem hören, als ob er schliefe.
    Inzwischen kam es nur selten vor, dass Gerhart mit allen drei Männern auf einmal zusammen war. Die drei sangen dann hin und wieder ein Lied, klopften ihm auf den Rücken und boten ihm eine kleine Zigarre oder einen Schnaps an, den Lankau aus seinem Trinkstock ausschenkte oder aus einem Flachmann, den er stets in seiner Joppe bei sich trug. Manchmal unternahmen sie einen Ausflug mit ihm   – in die Stadt, nach Hause zu Kröner oder dem Alten oder hinaus zu Lankaus Landsitz. Die drei Männer redeten dann immer äußerst angeregt über ihre Geschäfte. Da Gerhart mit alldem nichts anfangen konnte, fing er an zu zählen und sehnte sich zurück ins Sanatorium. Bis er irgendwann zum Auto hinausging. Dann hakten sie sich kameradschaftlich bei ihm unter und stellten ihn mit ein, zwei Tabletten ruhig.
    Gerhart Peuckert alias Erich Blumenfeld hatte schon immer Tabletten bekommen. In den Sanatorien, auf ihren Ausflügen, bei den Männern zu Hause. Ganz gleich, wo er sich befunden hatte, er hatte immer Tabletten bekommen. Von Krankenschwestern, Pflegern und den drei Männern und deren Familien.
    Überall gab es ein Schränkchen mit Tabletten.
    Nur ein einziges Mal hatten sie einen Ausflug mit ihm gemacht, bei dem sie anderen Menschen begegnet waren. Petra war ihnen entgegengekommen und hatte ihn in den Arm genommen. Es war eine Flugschau mit Tausenden von Zuschauern gewesen. Die vielen Menschen und der Lärm hatten ihn geängstigt, doch das Schauspiel am Himmel hatte ihn in seinen Bann gezogen. Stundenlang hatte er weder den Kopf bewegt noch auf irgendetwas gezeigt, doch seinem Blick war das Staunen anzusehen gewesen. Der Anblick der den Himmel durchschneidenden Jagdflugzeuge hatte etwas in ihm ausgelöst. Damals hatte er zum ersten Mal seit fast fünfzehn Jahren etwas gesagt. Unter dem Donner der Maschinen und bis er am Abend ins Bett ging, wiederholte er immer wieder denselben Satz.
    »So schnell«, sagte er. »So schnell.«

45
    ES WAR EIN SELTSAMER TAG für Laureen. Das ungute Gefühl, einer Sache auf der Spur zu sein, die in all den Jahren latent ihr Leben mit Bryan bestimmt hatte, verstärkte sich. Während Bryan mit der Frau im Stadtpark sprach, gelangte Laureen zu der Überzeugung, dass ihr eigenes Schicksal mit dem dieser zierlichen Person verknüpft sein musste.
    Das war aber noch nicht alles.
    Aus der Entfernung hätte man meinen können, die Begegnung mit der Frau sei ein zufälliges Wiedersehen, aus dem sich unbegreiflich schnell eine Konfrontation und dann ein Streit entwickelte. Aber als die beiden auseinandergingen, sahen sie so aufgewühlt, ja, fast erschüttert aus, dass Laureen überzeugt war, dass die beiden sich bald wieder treffen würden. Aber ganz bestimmt unter anderen Umständen, dachte sie.
    Bryan wohnte noch immer im Hotel Roseneck in der Urachstraße. Dort wollte Laureen Kontakt zu ihm aufnehmen, wenn es soweit war. Mit der Frau verhielt es sich anders. Ob Laureen wollte oder nicht, sie musste unbedingt mehr über die Unbekannte in Erfahrung bringen. War es ihre Wohnung gewesen, die Bryan am Morgen so lange beobachtet hate? Wer war sie? Wie konnte eine Frau in einer abgelegenen deutschen Stadt ihren Mann so sehr interessieren? Zumal sie nicht einmal besonders jung zu sein schien. Woher kannten die beiden sich? Und wie gut? All diese Fragen wollte Laureen beantwortet haben. Hier und jetzt.
    Und so kam es, dass sich Laureen in den folgenden Stunden der fremden Frau und nicht ihrem eigenen Mann an die Fersen heftete.
     
    Die Frau in dem schwarzen Lackmantel hatte viel zu erledigen. Zweimal suchte sie eine Telefonzelle auf. Sie verschwand hin und wieder in einem Hauseingang, und Laureen wartete verwirrt und mit schmerzenden Füßen auf der belebten Straße. Als die Frau endlich die Weinstube am Münsterplatz aufsuchte und von ihrem Platz in der Nähe der Tür eine Weile ausdruckslos aus dem Fenster gestarrt hatte, nahm Laureen zwei Tische weiter Platz und

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