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Das Amerikanische Hospital

Titel: Das Amerikanische Hospital Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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bestätigt, der eine missed abortion diagnostizierte. Die Frucht war abgestorben, aber im Bauch geblieben, sodass eine Curettage, eine Ausschabung, notwendig war, um die Gefahr unkontrollierter Blutungen, eines Blutsturzes zu vermeiden.
    Da der Eingriff unter Vollnarkose ausgeführt werden musste, blieb Hélène über Nacht im Krankenhaus.
    Das Ganze war Ende Januar passiert, im Juli hatten sie den nächsten Termin mit Le Goff, um den Zeitplan für
einen zweiten Versuch aufzustellen und sich die Rezepte für Decapeptyl und Predalon ausstellen zu lassen.
    Es war Pech gewesen, aber kein Grund zu Defätismus, eine verlorene Schlacht, aber kein verlorener Krieg. Im Grunde hatte man nicht erwarten können, dass es bereits das erste Mal klappte, und bei Licht besehen, war die Bilanz eigentlich eher positiv: Sie bekamen funktionstüchtige Eizellen, sie hatten Rennsperma zur Hand, die Befruchtung funktionierte, die Entwicklung in der Gebärmutter ging voran - zumindest am Anfang. Das sei Grund zur Hoffnung, meinte Le Goff, nun stelle sich die Frage, warum die Frucht sich ab einem bestimmten Punkt nicht weiterentwickle. Dafür könne es verschiedene Gründe geben, die werde man eingrenzen, die entscheidenden herausfinden und versuchen, Gegenmaßnahmen zu treffen. Ob Hélène es denn noch einmal versuchen wolle, sie wolle es doch versuchen, oder? Ob er denn davon abrate? Dafür bestehe kein Grund.
    Die Curettage war entsetzlich.
    Als Hélène an diesem heißen Hochsommertag an der Endhaltestelle Pont de Levallois aus dem weißgekachelten Metroschacht stieg und durch die engen kleinbürgerlichen Sträßchen ging, wurde ihr bewusst, dass seit ihrem ersten Besuch hier bereits ein ganzes Jahr vergangen war.
    Die von den weißen Fassaden abstrahlende Hitze staute sich in der Straßenschlucht, bis sie den grün und nobel prangenden, von mächtigen Platanen und Kastanien gesäumten Ortseingang von Neuilly erreichte, den breiten, von zwei ehemaligen Wächterhäuschen gefassten Boulevard du Château, wo in den Geruch staubiger Hitze
sich der aus den umfriedeten Grundstücken wehende, frische und kühle Duft nach nasser Erde mischte, der von gesprengtem Rasen und gewässerten Blumenrabatten kam, sodass der Eindruck entstand, in dem großbürgerlichen komme im Vergleich zu dem kleinbürgerlichen Vorort sogar eine andere, ergiebigere Art von Sauerstoff zum Einsatz.
    Hélène passierte die Grenze mit der Selbstverständlichkeit einer Pendlerin. Ohne dass sie es bemerkten, hatten die Krankenhausbesuche begonnen, ihr Leben zu strukturieren, lebten sie im Takt von Down-Regulierung, Stimulation, Auslösung, Follikelpunktion, Transfer, Wartezeit, Enttäuschung, Erholung und Neubeginn.
    Mit einem Anflug von Panik sagte sie sich, dass ein Jahr ihres Lebens so vergangen war, in dem sie nur einen einzigen, erfolglosen Versuch hatte machen können, ein Kind zu bekommen.
    Hélène bemühte sich, ihren Gedanken eine andere Richtung zu geben, sich über den schönen Tag zu freuen, an die bevorstehende Urlaubsreise zu denken, an die im Sonnenlicht auf der Fensterbank sich räkelnden, putzenden, niesenden Katzen, dennoch verstärkte sich mit jedem Schritt der Druck im Magen, etwas wie Lampenfieber, wie Prüfungsangst. Dann bog sie in den Boulevard Victor Hugo ein, betrat einige Hundert Meter weiter das Krankenhausareal durch den alten, auch auf den Schwarzweißfotos aus dem Ersten Weltkrieg gezeigten, weinumrankten Torbogen, stieg die Rampe entlang des linken Seitenflügels hinauf und betrat das Gebäude durch die gläserne Drehtür unter dem glänzenden Aluminium-Schriftzug.

    Sie ging am Empfangstresen vorbei in Richtung Aufzug, da drehte sich ein dort stehender Uniformierter zu ihr um.
    Die beiden Ausrufe erklangen gleichzeitig: Sie sind Soldat! - Sie sind wieder hier!
    In ihrer Stimme mischte sich blanke Verblüffung, so als stelle sich jemand, den man für eine Frau gehalten hat, plötzlich als Mann heraus, mit empörtem Vorwurf, als sei die Uniform der Beweis, dass alles, was der Amerikaner ihr erzählt hatte, ja dass er selbst eine Lüge, eine Täuschung war.
    Sein Ausruf begann als reine Freude, riss dann abrupt ab und hallte nach einem kurzen Blick auf ihren vollkommen flachen Bauch unter dem geblümten Sommerkleid als fast flehende Frage nach.
    Er trug eine grüne Class-A-Uniform, die aus einem hochgeschlossenen Jackett mit vier Aufsetztaschen, goldenen Knöpfen und mehreren Reihen kleiner farbiger Aufnäher in Brusthöhe sowie zwei silbernen

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