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Das Amerikanische Hospital

Titel: Das Amerikanische Hospital Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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Mussolinis Schwarzhemden vorbeidefilierten; und ich sah ihn, grauhaarig und gedrungen auf einer leeren Theaterbühne in der griechischen Provinz liegen über einer nackten, jungen Tramperin.
    Nicht nur war es ganz und gar unglaublich und empörend, dass dieser Unsterbliche am Sterben war, dass die Krankheit ihn bereits so weit abgehobelt hatte, dass er leicht und schmal genug war für die Holzkiste, die am Ende des Korridors auf ihn wartete, die absurde Erscheinung änderte auch definitiv mein Verhältnis zum amerikanischen Hospital, das ich seit jenem Tag nie wieder betreten habe: Es war doch kein Ort der Wunder und der Heilung, sondern ein Ort des Endes, der Niederlage.
    Nach dem Augenblick der Erstarrung begann die Welt sich wieder zu bewegen, Hélène kam mit schnellen Schritten auf mich zu und blieb vor mir stehen, ihr Gesicht verschlossen, ihre Züge fast hart und feindselig, sagte ihr: Thomas, ich kann nicht mehr, zu mir und ging dann, ohne sich umzudrehen, zur Tür hinaus, während ich reglos stehen blieb und weiter auf den leeren Raum starrte, in dem ich noch kurz zuvor Mastroianni gesehen
hatte. Ich nahm aus den Augenwinkeln wahr, dass sich der Amerikaner von der gegenüberliegenden Wand löste und an mir vorbei eilig zur Tür hinausging. Es war das einzige Mal, dass ich diesen Menschen, über den ich so viel gehört hatte, gesehen habe und er mich. Er war größer und kräftiger und jünger als ich.
    Dennoch verspürte ich keine Sekunde lang den Impuls, ihm oder ihnen hinterherzulaufen. Mein Gefühl, auch wenn es sich damals in jenen Momenten nicht klar genug darstellte, um es so zu formulieren, war, zu meinem eigenen Erstaunen nicht: Du kannst sie ohnehin nicht verlieren, sondern: Du kannst sie ohnehin nicht loswerden.
    Vor allem stand ich immer noch viel zu sehr im Banne von Mastroiannis Erscheinung. Man hatte ja gelesen, dass er zur finalen Behandlung im amerikanischen Hospital sei, hatte im Fernsehen auch Bilder gesehen von seiner Frau und von Catherine Deneuve und Chiara Mastroianni, wie sie auf Besuch kamen und unter dem glänzenden Aluminiumschriftzug im Eingang verschwanden. Dennoch: ihn selbst zu sehen! Und zugleich auch wieder nicht, denn zu verfremdet war bereits das Gesicht, zu unwürdig der Bademantel, zu abstoßend die schuppigen, wunden Schienbeine und die geschwollenen Füße in den Adiletten, zu erschütternd der schlurfende, unsichere Gang des kranken, alten Mannes.
    Ja, man kann sagen, dass mich in diesem Moment diese Sterblichkeit und diese Niederlage mehr faszinierten als der konkrete, mir nahestehende Mensch in Fleisch und Blut, meine Frau, die mir soeben unmissverständlich und abschließend klargemacht hatte, dass wir nie eine
Familie mit Kind sein würden, dass unsere Geschichte auf ewig nur der Torso einer Familiengeschichte sein würde, ein aufgelassener Steinbruch, in dem Dutzende behauener und zugeschnittener Steine stehen bleiben und langsam zerfallen, aus denen nie ein Haus gebaut werden wird.
    Und ich muss wohl unbewusst oder halb bewusst Mastroianni und Hélène zusammengebracht haben als Opfer dieses Krankenhauses und instinktiv versucht haben, mich aus dieser fatalen Verstrickung zu lösen, ihr zu entkommen. Ich empfand eine panische Angst davor, dass die finalen Urteile, die über beide gesprochen waren, auch auf mich übergreifen, mich miteinbeziehen, für mich gelten würden.
    Gedacht habe ich in diesen wenigen Sekunden aber gewiss anderes. Gedacht habe ich: Hélène braucht jetzt ihre Ruhe, die muss jetzt mal eine Stunde alleine sein. Auch ihr Ton hatte, schien mir, darauf hingedeutet, dass sie in Frieden gelassen zu werden wünschte. Und dann dachte ich noch: Hoffentlich geht der Amerikaner ihr nicht auf die Nerven. Denn dass er zur Tür hinausgestürzt war, um ihr hinterherzugehen, um sie einzuholen, das war mir schon klar. Es störte mich aber nicht. Nachher wird sie zu Hause sein, dachte ich, vielleicht sogar schon vor mir. Und so war es dann ja auch.
    Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass es meine Übersetzung der Gedichte von Elizabeth Bishop war, die die beiden miteinander ins Gespräch brachte. Ich weiß noch, welch lächerliche Mühe mich die Übertragung des titelgebenden Gedichts meiner Sammlung, One Art, gekostet hat, eines ihrer späten Gedichte. Denn dessen
erste Zeile: The art of losing isn’t hard to master, also wörtlich übersetzt: Die Kunst zu verlieren ist nicht schwer zu lernen oder zu beherrschen oder zu meistern, muss sich ja mit der

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