Das Amulett der Pilgerin - Roman
»Ich sehe nicht ein, weshalb ich sie am Leben lassen sollte, um dann auch noch meine Zeit mit ihnen zu verschwenden!«
»So ist nun einmal das Gesetz.«
»Aber du hast doch gesagt, dass wir uns beeilen müssen.«
Julian, gefährlich nahe am Ende seiner Geduld, presste seine Fingerspitzen zwischen seine Brauen.
»Die werden keine Skrupel haben, uns zu töten«, argumentierte Viviana weiter.
»Ich kann sie aber nicht einfach ohne Verfahren hinrichten. Das ist nicht rechtens.«
Viviana schwieg. Julian betrachtete sie kritisch.
»Und du machst das bitte auch nicht!«
»Ich werde mich bemühen«, sagte sie hoheitsvoll, ohne Julian zu überzeugen.
Von der Stelle aus, an der sie warteten, konnten sie den Weg ein gutes Stück einsehen. Das gab ihnen genug Zeit, sich zu positionieren, wenn es so weit war. Wenig später sahen sie in der Ferne eine Bewegung. Julian kniff die Augen halb zusammen. Es waren zwei Reiter, die zügig den Weg entlangritten. Sie nahmen ihre Positionen ein, jeder auf einer Straßenseite. Julian fand die ganze Situation irrwitzig. Vor nicht einmal einer Viertelstunde hätte er Viviana fast als Feindin des Reiches vom Pferd geschossen, und jetzt war sie seine Komplizin in einem Hinterhalt. Die Reiter waren nahe herangekommen.
»Ich habe doch gleich gesagt, wir hätten uns links halten sollen«, sagte ein hagerer, junger Kerl mit weit auseinanderstehenden Augen, die ihn aussehen ließen wie einen Vogel.
»Halt endlich die Klappe!«, schnauzte ein etwas älterer Mann zurück, den Viviana aus Amesbury wiedererkannt hatte.
»Halt, im Namen des Königs!« Julian trat mit erhobenem Bogen auf die Straße.
Die Reiter zügelten die Pferde und starrten ihn überrascht an.
»Absteigen«, befahl Julian.
Die zwei blickten sich an und wogen das Risiko ab.
»Absteigen, ein bisschen plötzlich«, wiederholte Julian.
»Und wenn ich nicht will?«, fragte der Mann aus Amesbury. Noch ehe Julian antworten konnte, schrie der Reiter plötzlich laut auf. Er fasste sich an die Schulter, aus der der Schaft eines Messers ragte. Blut quoll unter seinen Fingern hervor, und er fiel taumelnd aus dem Sattel. Die Pferde wieherten erschrocken. Der vogelgesichtige Jüngling stieg eilig ab.
»Auf den Boden legen, die Hände über den Kopf.«
Er legte sich auf die steinige Straße, während er sich unsicher suchend umsah, wer das Messer geworfen hatte. Viviana trat auf die Straße und ging zu dem Mann aus Amesbury, der stöhnend und blutend versuchte, sich das Messer aus der Schulter zu ziehen. Sie gab ihm einen Tritt, dass er auf den Bauch rollte, und kniete sich auf seinen Rücken. Mit einer Hand packte sie seine Haare und bog seinen Kopf nach hinten, mit der anderen hielt sie ein Messer an seine Kehle.
»Warum wolltest du mich töten?«
»Was? Ich weiß nichts davon«, keuchte er unter Schmerzen.
»Wirklich nicht?«
»Nein, wirklich nicht.«
»Und warum musste Schwester Kendra sterben?«
»Ich weiß wirklich nichts, ich kenne diese Schwester gar nicht.«
»Ganz ehrlich?« Die Spitze des Messers bohrte sich in das Ohr des Mannes.
»Aufhören, aufhören!«, schrie er in plötzlicher Todesangst. »Bitte, ich habe doch nur getan, was mir befohlen wurde.« Der Mann aus Amesbury fing an zu weinen. »Ich sage die Wahrheit, bitte töten Sie mich nicht! Ich habe doch nur getan, wie mir geheißen wurde«, flehte er.
»Viviana!«
Julian hatte den Bogen abgelegt und war dabei, das Vogelgesicht zu fesseln. Missmutig blickte sie zu ihm hinüber und ließ das Messer sinken. Sie drehte ihr Opfer mit den Fuß um und blickte angewidert auf ihn hinab.
»In die Hose hat er sich auch noch gemacht, der elendige Feigling!«
Sie griff nach ihrem Messer und zog es unsanft aus der Schulter des vor Schmerzen stöhnenden Mannes. Julian kam zu ihr herüber.
»Mein Gott, Viviana, ein bisschen Gnade könntest du ruhig walten lassen.«
»Gnade kann ich mir nicht leisten«, sagte sie kalt, wischte ihr Messer im Gras ab und machte sich daran, die Pferde der beiden Männer einzufangen.
Julian konnte Ben, den Mann aus Amesbury, überzeugen, dass es in seinem Interesse war, mit der Wahrheit herauszurücken. Er gab zu, dass er von dem stellvertretenden Propst aus Shaftesbury, zusammen mit dem Toten im Stall und dem Vogelgesichtigen, angeheuert worden war, um Viviana aus dem Weg zu räumen. Er gab außerdem zu, dass er bei der Ermordung der Nonne dabei gewesen war, aber die Tat selbst sei von dem Stellvertreter ausgeführt worden. Schwester
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