Das Amulett der Pilgerin - Roman
wenige Männer können mich in Schach halten.« Sie lächelte den jungen Mann freundlich an. »Außer Sir Julian hier, natürlich!«, fügte sie hinzu, sich über Emmitts formelle Anrede amüsierend. Emmitt errötete erneut.
»Viviana und ich werden jetzt gehen und hoffentlich die Liste finden. Viviana wird sich dann, wie geplant, in der westlichen Pilgerherberge einquartieren und auf die Kontaktaufnahme warten.« Julian blickte Viviana an. Sie nickte. »Von da ab könnt ihr dann übernehmen, aber es wäre zu kompliziert, jetzt die Begleitperson zu tauschen. Alles klar?«
Emmitt nickte, sah aber sehr besorgt aus.
»Was?«
»Mister Thorn wird der Plan nicht gefallen.«
»Das ist mir völlig gleichgültig.«
»Armer Emmitt«, sagte Viviana vergnügt, als sie wieder auf der Straße waren und ihren Weg in Richtung Saint Michaels fortsetzten.
»Das kannst du zweimal sagen. Melchor Thorn ist ein unangenehmer Bursche.«
»Und er kleidet sich seltsam.«
Julians Kopf fuhr herum.
»Woher kennst du ihn?«
»Ich hatte das Vergnügen in Shaftesbury.«
»Du hast ihn in Shaftesbury getroffen?«
»Allerdings. Ich war auf der Suche nach meinem Retter, einem Beamten der Königlichen Schatzkammer namens Julian White.« Ihr Tonfall klang unbeteiligt, aber Julian meinte, eine gewisse Schärfe herauszuhören.
»Wo hast du ihn getroffen?«
»Im Hof der Abtei. Er war so nett, mir zu sagen, dass er dich kennen würde, aber er konnte sich einfach nicht erinnern, wo du dich aufhieltest.«
Julian presste wütend die Lippen zusammen. Das war typisch für Thorn, ihm ohne jeden Grund schaden zu wollen. Immerhin wusste er zu dem Zeitpunkt, dass Julian auf der Suche nach einer Frau war.
»Also, Julian, wer ist Miss Marguerite?« Viviana wechselte das Thema.
»Niemand.«
»Nun sei doch nicht so mürrisch auf unserem letzten gemeinsamen Ausflug.«
Julian blieb stehen.
»Ist das alles nur ein Spiel für dich, Viviana?«
»Durchaus nicht. Aber wir werden uns wahrscheinlich nicht wiedersehen, da können wir doch wenigstens nett zueinander sein.«
Er blickte sie an, und der Schmerz, den er in seinem Herzen fühlte, ließ ihn die Wunde an seinem Arm vergessen. Sie hatte recht. Wenn alles glattging, würde Thorn den Rest der Angelegenheit übernehmen, und er würde auf dem schnellsten Weg nach Westminster reiten, um sich vor dem König zu rechtfertigen. Viviana würde nach Frankreich zurückkehren und ihr Leben wieder aufnehmen. Vermutlich würde irgendwann vor ihrem dreißigsten Geburtstag das Glück sie verlassen, und sie würde mit durchgeschnittener Kehle in einem Pariser Hinterhof gefunden werden. Brüsk drehte er sich um und ging weiter.
»Wir sollten keine Zeit verschwenden.«
Sie folgten der Straße, die um die Abtei herumführte, und kamen schließlich zu einer Kirche, die große Ähnlichkeit mit Saint Stephens hatte. Es war gegen Mittag, und Saint Michaels war gut besucht. Viviana blickte Julian an, und er schüttelte den Kopf.
»Ich kann auch nichts Verdächtiges sehen«, sagte sie, und sie traten in das Innere des Steingebäudes, das angenehm kühl war. Auch an diese Kirche war in den letzten Jahren angebaut worden. Das Mittelschiff war um zwei Seitenschiffe verbreitert worden, und das Licht fiel jetzt durch Fensteröffnungen oberhalb der Seitenschiffe herein. Direkt gegenüber dem Eingang befand sich ein hölzerner Seitenaltar.
»Geradeaus und hinter dem Holz«, murmelte Viviana.
»Verzeihung, können wir hier mal vorbei!«, ertönte eine ungehaltene Stimme hinter ihnen. Viviana und Julian traten zur Seite, um eine Gruppe verschwitzter Pilger vorbeizulassen. Der Altar war mit einer hölzernen Reling abgetrennt und nicht direkt zugänglich.
»Wir müssen warten, bis es leerer wird«, flüsterte Viviana und blickte zu Julian. Er sah blass aus, und sie entdeckte feine Schweißperlen auf seinen Schläfen. Der Verband an seinem Arm wies einen großen, dunklen Fleck auf. Julian brauchte eine Pause, und sie musste die Wunde neu verbinden.
»Komm, wir suchen uns ein schattiges Plätzchen.« Sie schlang den Arm um seine Mitte und schob ihn nach draußen. Sein Arm lag schwer auf ihrer Schulter, als sie um die Kirche herumgingen. Ein wenig entfernt, aber mit gutem Blick auf das Geschehen, fand Viviana eine geeignete Stelle unter den tief hängenden Zweigen einer Trauerweide. Mit einem unterdrückten Stöhnen ließ sich Julian zu Boden gleiten und lehnte sich an den Stamm des Baumes. Viviana kniete neben ihm und untersuchte
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