Das Amulett der Pilgerin - Roman
den Verband.
»Du verlierst zu viel Blut. Ich muss das richtig versorgen.«
»Willst du etwa noch mehr von deinem Kleid zerreißen?«
»Auf keinen Fall, ich will ja schließlich nicht ohne dastehen. Ich werde versuchen, Leinenstreifen aufzutreiben, und vielleicht gibt es hier auch irgendwo Kräuter zu kaufen.«
»Ich komme mit.« Julian wollte aufstehen, wurde aber von Viviana daran gehindert.
»Nein, du kommst nicht mit. Du brauchst Ruhe. Meinst du nicht, dass, hätte ich mich davonmachen wollen, ich das nicht schon längst getan hätte?«
Julian blickte sie zweifelnd an.
»So ein guter Aufpasser bist du auch nicht, mein Lieber.« Sie stand auf. »Ich bin bald wieder zurück.«
Noch ehe Julian protestieren konnte, raffte Viviana ihre Röcke und lief eilig über die Wiese zurück zur Straße. Ja, sie könnte jetzt versuchen, die Liste an sich zu bringen und zu flüchten. Aber wohin? Julian wusste, wo die Übergabe stattfinden sollte, und sie selbst hatte keine Möglichkeit, mit den Empfängern Kontakt aufzunehmen. Wenn sie jetzt einen Alleingang wagte, würde sie von allen Seiten gejagt werden und hätte überhaupt keinen Schutz. Wie viel der Schutz des Kardinals wert war, konnte sie schlecht einschätzen. Julian würde sich an die Abmachung halten, ob die Zusage des Kardinals ihm gefiel oder nicht, aber bei einem Mann wie Melchor Thorn war sich Viviana alles andere als sicher. Es widerstrebte ihr sehr, dass sie mit Thorn zusammenarbeiten sollte. Sie würde sehr aufpassen müssen. Von einem Händler, der auf dem Weg zum Markt nach Saint Albans war, kaufte sie ein Stück Leinen. Leider hatte er nur Stoffe und keine Heilmittel, aber am Straßenrand wuchs Schafgarbe, und die würde ebenfalls helfen, die Blutung zu stillen. »Du bist tatsächlich zurückgekommen«, stellte Julian fest, als Viviana die Zweige beiseiteschob und in das natürlich gewachsene Zelt trat. Sie machte ein beleidigtes Gesicht.
»Erzähle mir nicht, du hast nicht daran gedacht, die Liste zu holen und dich aus dem Staub zu machen.«
Viviana grinste.
»Natürlich habe ich das, aber ich konnte dich doch hier nicht hilflos zurücklassen!«
»Rücksichtsvoll, aber gänzlich unwahrscheinlich.«
»Und warum bin ich dann wohl zurückgekommen?«
»Weil dich sonst alle jagen würden.«
»Du hast mich durchschaut.«
Sie kniete sich neben ihn und löste den Verband von seinem Arm. Julian betrachtete sie.
»Du bist schwer zu durchschauen.«
»Ich nehme das als Kompliment.«
Sobald sie die Wolle entfernt hatte, begann die Wunde sofort wieder zu bluten.
»Ein guter Treffer«, stellte sie fest, als sie das Leinen in lange Streifen riss.
»Herzlichen Glückwunsch.«
»Ich habe doch gesagt, dass es mir leidtut, aber es war trotzdem ein guter Wurf.«
»Ehre wem Ehre gebührt«, presste Julian zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Sie legte die Schafgarbenblätter auf die Wunde und wickelte mehrere Lagen des Verbandes darüber.
»Das Blut wird den Stoff durchnässen und auch das Kraut. So kann es wirken. Ich habe kein frisches Wasser gefunden, mehr können wir also erst mal nicht tun.«
Julian bewegte seinen Arm. Er musste versuchen, ihn so ruhig wie möglich zu halten, damit er kein Wundfieber bekäme.
»Danke.«
»Glaube nur nicht, ich habe das aus Menschenliebe getan.«
»Um Gottes willen.«
»Ich will bloß nicht, dass du krank darniederliegst«, sagte sie ernsthaft, zwinkerte Julian aber zu.
»Trotzdem danke.«
• 20 •
S ie hatten beschlossen, bis zum späten Nachmittag zu warten, in der Hoffnung, dass die Kirche sich dann leeren würde.
»Willst du mir nicht doch erzählen, wer Miss Marguerite ist?«
»Du wirst sonst keine Ruhe geben?«
Viviana machte einen Gesichtsausdruck, als würde er ihr etwas gänzlich Absurdes unterstellen.
»Natürlich, wie dumm von mir«, entschuldigte sich Julian.
»Allerdings«, stimmte sie ihm zu.
»Also, Miss Marguerite ist eine Mätresse des Königs.«
»Oh, Julian, mir schwant Schlimmes. Du hast doch nicht etwa in königlichen Revieren gewildert?«
»Sehe ich aus, als wäre ich lebensmüde?«
»So mancher Mann hat schon alles für die Liebe einer Frau aufs Spiel gesetzt«, antwortete Viviana theatralisch und fügte dann in einem nüchternen Ton hinzu: »Und verloren!«
»Zweifelsohne hätte ich alles riskiert, aber Miss Marguerite entspricht nicht meinen Vorstellungen.«
»Was? Obwohl sie gut genug für den König ist?«
»Das hat sie auch gesagt.«
Viviana brach in Gelächter
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