Das andere Ende der Leine: Was unseren Umgang mit Hunden bestimmt (German Edition)
Toleranz« zeigen. (Er fand heraus, dass von den Betarüden beinahe dreimal so viel Aggression ausging als von jeder anderer Rangposition im Rudel.)
Aggression innerhalb der Beta-Kategorie des sozialen Status ist bei vielen Spezies mit sozialer Hierarchie üblich, Menschen inbegriffen. Jeder Soziologe wird Ihnen bestätigen, dass die meisten Spannungen und unverhohlenen Aggressionen sich in der mittleren Managementebene eines Unternehmens abspielen – und Primatologen, die das Verhalten von Affen und Menschenaffen studieren, werden Ihnen das Gleiche sagen. Sicherlich macht dies auch intuitiv Sinn, wenn man an das Verhalten von nach Macht strebenden Menschen denkt. Washington D.C. besteht nicht aus einem Präsidenten und einer Hand voll Anhänger ohne Status. Es gibt eine große Beta-Gruppe von Menschen, die ständig nach Macht und Positionen streben, was, wenn man den Nachrichten aus der Hauptstadt glaubt, manchmal zu ziemlich haarigen Situationen dort führen kann. Viele Menschen möchten gerne an der Spitze der Betakategorie stehen, derjenige sein, dem der Dominante Gehör schenkt und freien Zugang zum Thron haben – egal, ob der von einem Alphamännchen oder dem Präsidenten der Vereinigten Staaten besetzt ist. Ich nenne es das Kissinger-Phänomen und ich beobachte es bei Hunden andauernd.
Welche Wichtigkeit Status hat, ist auch von den Rangordnungen der Individuen selbst abhängig. Bei Wölfen beispielsweise sind die Rangunterschiede zwischen den statushohen Wölfen stärker als zwischen den statusniedrigen. In unserer eigenen Spezies scheint es so zu sein, dass Status umso wichtiger wird, je mehr der soziale Status eines Individuums sich hebt. Welcher Unterschied ist wichtiger: der zwischen einer olympischen Gold- und einer olympischen Silbermedaille oder der zwischen Platz dreiundzwanzig und vierundzwanzig bei den Olympischen Spielen? Wenn ich Gold gewonnen hätte und jemand würde mir zur Silbermedaille gratulieren, würde ich ihn berichtigen. Wenn der Unterschied aber darin bestünde, ob ich nun der Dreiundzwanzigste oder Vierundzwanzigste geworden wäre, bin ich mir nicht so sicher, ob ich den Irrtum klarstellen würde. Auch der Wert einer Ressource ist von Bedeutung. Die gleichen Menschen, die auf kleinen Hütehundprüfungen großzügig über die Unstimmigkeiten hinwegsehen, die sie um den ersten Platz gebracht haben, werden laut, wenn sie das Gefühl haben, bei einer großen, wichtigen Prüfung übervorteilt worden zu sein.
K ÖNNEN ZWEI A RTEN IM GLEICHEN R UDEL LEBEN ?
Wenn sozialer Rang sowohl für Menschen als auch für Hunde wichtig ist, wie beeinflusst dies dann unseren Umgang miteinander? Es ist nicht wirklich klar, ob Individuen zweier verschiedener Arten wie Menschen und Hunde sich zu einer einzigen sozialen Einheit zusammenfügen und verschiedene Positionen in einer Hierarchie einnehmen können. Diese Frage verdient wesentlich mehr Aufmerksamkeit von Wissenschaftlern, aber auch von Hundetrainern und Hundeliebhabern. John Wright, ebenfalls diplomierter Tierverhaltenstherapeut und ich debattierten einmal einen Abend lang bei Cocktails angeregt über das Thema, ob Hunde Menschen als Teil ihrer sozialen Hierarchie betrachten. Er sagte nein, ich ja, und beim zweiten Gin and Tonic waren wir beide der Meinung, dass es eigentlich egal sei, wer Recht hatte, aber die Frage hochinteressant war. Meiner eigenen Ansicht nach können Hunde und Menschen aufgrund der Definition von Dominanz und Sozialstatus in einer sozialen Hierarchie koexistieren. Wenn Dominanz »vorrangiger Zugang zu Ressourcen« ist und einem Individuum mehr soziale Freiheiten gegenüber den anderen bringt, dann scheint es logisch, dass in einem Haus voller Ressourcen zusammenlebende Individuen als in Gruppen lebende Tiere überall die gleichen Probleme teilen. Wenn Sie ein Schnitzel zwischen sich und Ihrem Hund fallen lassen, sind Sie zwei Individuen, die beide die gleiche Sache haben und nicht teilen wollen.
Häufig sehe ich Hunde, die diejenigen Menschen in der Familie herausfordern, die sie vermutlich als rangniedriger betrachten (besonders kleine, fürsorgliche Frauen mit zarter Stimme), aber niemals versucht haben, sich den autoritäreren Familienmitgliedern gegenüber zu stellen. Außerdem begrüßen Hunde Menschen mit den gleichen visuellen Signalen, die sie auch zur Begrüßung von Mitgliedern ihrer eigenen Art verwenden: Köpfe nach unten oder oben, Ruten steif oder wedelnd. Die meisten Hunde nähern sich Tieren anderer
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