Das andere Ende der Leine: Was unseren Umgang mit Hunden bestimmt (German Edition)
Richtungen gleichzeitig zu bewegen. Alleine ihm zuzusehen war schon anstrengend. Ich ließ ihn gewähren und war gespannt, wie lange es dauern würde, bis er sich beruhigt hatte, nachdem der Spaziergänger draußen vorbei war. Es dauerte eine volle Minute, bis er zu bellen aufhörte und mindestens fünf Minuten, bis sein Atem wieder normal war.
Fragen Sie sich selbst, wie man Domino am besten beschreiben könnte. Irgendjemand hatte Beth gesagt, dass er sie in den Arm gebissen hatte, sei ein klares Zeichen von »Dominanzaggression«. Aber allein die Tatsache, dass Hunde beißen, heißt noch nicht, dass sie »dominant« sind, wie hoffentlich im letzten Kapitel klar geworden ist. Ein anderer Freund hatte gemeint, dass Domino ein ernsthaftes Aggressionsproblem gegenüber anderen Hunden haben müsse, weil er nur so hysterisch bellte, wenn ein anderer Hund am Haus vorbei ging. Aber Domino benahm sich gut im Hundepark und hatte jede Menge Hundekumpel in der Nachbarschaft. Beth hatte ihn noch nie einen anderen Hund anknurren gehört, wenn er nicht am Fenster stand. Domino war der am leichtesten erziehbare Hund, den Beth je gehabt hatte und der Star der Hundeschule. Er schien Beth anzuhimmeln, folgte ihr überall hin und war genauso zärtlich wie sie – genauso schnell dabei, sie zu lecken, wie sie ihn hinter den Ohren kratzte. Ich brauchte mehr Informationen, um irgendwelche Schlussfolgerungen ziehen zu können, also begann ich sofort, selbst mit Domino zu arbeiten.
Nachdem er sich beruhigt hatte, hob ich einen Tennisball auf. Domino kroch sofort in die Border-Collie-typische Lauerposition und spielte ein paar Minuten lang intensiv mit mir Bällchenfangen. Dann versteckte ich den Ball absichtlich und wendete meine Aufmerksamkeit von ihm weg und wieder zu Beth hin. Domino hatte aber nicht die Absicht, das Spiel schon zu beenden. Er kam zu mir herüber und stupste mich am Arm. Ich ignorierte ihn geflissentlich. Er stupste wieder und ließ ein Bellen folgen. Ich unterhielt mich weiter mit Beth und sagte, sie solle ruhig sitzen bleiben und Domino ignorieren. Noch ein Bellen, und noch eins und noch eins. Domino stand da und schaute mich direkt an und bellte immer wieder in kurz aufeinanderfolgenden Tönen, wie Hunde es tun, die Aufmerksamkeit erregen möchten. Ich ließ ihn weitermachen, weil ich ihn jetzt nicht trainieren, sondern nur einschätzen und sehen wollte, was passiert, wenn ich nicht eingriff. Sein Bellen wurde schneller und in der Tonlage tiefer, während er mich direkt anstarrte. Ich kann zwar nicht die Gedanken eines Hundes (oder anderen Menschen) lesen, aber in diesem Moment sah Domino wütend aus. Beth dagegen wirkte nervös und bat mich immer wieder, ihm doch den Ball hinzuwerfen. Domino wollte unbedingt spielen, und sie wollte unbedingt, dass er glücklich war. Sie erklärte mir, dass die einzige Möglichkeit, ihn im Haus zu beschäftigen, darin bestand, dass sie ihm Bällchen hinwarf – etwas, das sie auch während des Fernsehens, Arbeitens am Computer oder sogar Telefonierens tun konnte. Als er damit begann, sie mit Bellen zum Ballwerfen aufzufordern, stellte sie fest, dass sie ihn nicht mit Worten zum Aufhören bringen konnte, sondern nur dann Ruhe und Frieden bekam, wenn sie den Ball warf. Das Ergebnis war, dass die Ballspiele in ihrem Haus nur dann ein Ende fanden, wenn Domino müde wurde. Gesunde, ein Jahr alte Border Collies verstehen das Wort »müde« allerdings nicht sonderlich gut, also hatte Beth inzwischen einen Oberarm wie ein professioneller Baseballspieler und Domino spielte Ball nach Wunsch, das bedeutete den größten Teil des Abends lang.
Domino bekam nicht nur Ballspiele, wenn er es wollte, sondern auch Streicheleinheiten, wenn er Beth mit seinen Pfoten antatzte und Leckerchen, wenn er vor dem Küchenschrank bellte. Domino erinnerte mich an ein Kind, das vor dem Abendessen im Restaurant um den Nachtisch quengelt und dessen verzweifelte Eltern nachgeben, nur damit endlich Ruhe ist. Domino hatte gelernt, dass es funktionierte, wenn er mit grobem, forderndem Verhalten Aufmerksamkeit verlangte. Auch wenn er im ersten Anlauf keinen Erfolg hatte, so konnte er doch bekommen, was er wollte, wenn er nur hartnäckig genug war. Also wuchs Domino damit auf, dass er fast alles und fast jederzeit bekam, was er wollte.
F USSTRITTE FÜR DEN G ETRÄNKEAUTOMATEN
Jedes Individuum – Mensch oder Hund – das damit groß wird, jederzeit alles bekommen zu können, wonach ihm der Sinn steht, wächst zu
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