Das andere Ende der Leine: Was unseren Umgang mit Hunden bestimmt (German Edition)
begründet, dass die Besitzer nichts von Hundeverhalten und davon, wie Tiere lernen, verstehen. Ich ermuntere alle Hundebesitzer, viele gute Bücher über Hundeerziehung zu lesen. Hundeerziehung, so stellt sich heraus, hat doch nicht so viel mit Intuition zu tun, und je mehr sie lernen, desto leichter und vergnüglicher wird es.
Manche der Missverständnisse in der Kommunikation haben aber nicht nur mit mangelndem Wissen über die Hundeerziehung zu tun, sondern mit den grundlegenden Unterschieden zwischen zwei Spezies. Schließlich sind Hunde nicht die einzigen Tiere in dieser Beziehung. Wir Menschen am anderen Ende der Leine sind auch Tiere, mit unserem eigenen biologischen Verhaltensgepäck, dass sich auf unserer Reise durch die Evolution angesammelt hat. Weder wir noch die Hunde beginnen die Hundeerziehung als unbeschriebene Blätter. Hunde und Hundefreunde wurden beide von verschiedenen evolutionären Hintergründen geprägt, und was jeder von beiden in die Beziehung mitbringt, beginnt mit dem Erbe unserer Naturgeschichte. Auch wenn unsere Gemeinsamkeiten eine bemerkenswerte Verbindung zwischen uns schaffen, so sprechen wir doch jeder unsere eigene »Muttersprache«, und viel geht bei der Übersetzung verloren.
Hunde sind Caniden, die taxonomische Familie, zu der auch Wölfe, Füchse und Kojoten gehören. Genetisch gesehen sind Hunde schlicht und einfach Wölfe. Wölfe und Hunde haben so viele Gemeinsamkeiten in der DNA, dass es fast unmöglich ist, sie genetisch voneinander zu unterscheiden. Wölfe und Hunde können sich frei untereinander paaren und ihre Nachkommen sind genauso fruchtbar wie die Eltern. 2 Durch das Studium von Wolfsverhalten lernten wir, was es bedeutet, wenn unsere Hunde die Ohren flachlegen oder unsere Gesichter lecken. Wölfe und Hunde kommunizieren mit ihren Rudelmitgliedern mit Hilfe der gleichen körperlichen Gesten, die Unterwerfung, Vertrauen oder Bedrohung ausdrücken. Wenn Sie einmal einen Wolf oder einen Hund direkt vor sich stehen hatten, unbeweglich und hoch aufgerichtet, tief knurrend und direkt in ihre Augen blickend, dann würden Sie richtig folgern, dass beide Ihnen die gleiche Botschaft übermittelt haben. Hunde sind also in einer Hinsicht Wölfe, und man kann viel über Hunde lernen, wenn man einen Wolf und sein Rudel beobachtet.
In einer anderen Hinsicht, und zwar einer sehr bedeutenden, sind Hunde überhaupt keine Wölfe. Haushunde sind nicht so scheu wie Wölfe, sie sind weniger aggressiv als Wölfe, sie ziehen nicht umher und sie sind viel leichter erziehbar. Sicher finden Sie nicht viele Leute, die ihre Schafherden von Wolf/Hund Hybriden hüten lassen. Glauben Sie mir als Biologin und Schafhalterin, es wäre nichts Nettes. Hunde benehmen sich größtenteils wie jugendliche Wölfe, wie Peter Pan-Wölfe, die niemals erwachsen werden. In Kapitel 5 werden wir besprechen, wie es dazu gekommen sein könnte. Leider wurden die Ähnlichkeiten zwischen Hund und Wolf während der letzten Jahrzehnte durch volkstümliche Auffassungen von beiden Tieren übermäßig stark vereinfacht. Vielleicht ist es das, was Raymond und Lorna Coppinger in ihrem Buch Hunde dazu veranlasste, die Unterschiede zwischen Wolf und Hund zu betonen. In ihrer Einleitung sagen sie: »Hunde mögen zwar eng mit Wölfen verwandt sein, aber das heißt nicht, dass sie sich wie Wölfe verhalten. Menschen sind eng mit Schimpansen verwandt, aber das macht uns weder zu einer Unterart von Schimpansen noch bedeutet es, dass wir uns wie sie verhalten.«
Das erinnert mich an die Redensart, dass man ein Glas entweder als halb voll oder als halb leer betrachten kann. Jede Beobachtung ist korrekt, sie bezeichnet nur eine jeweils andere Perspektive. Meine eigene Meinung ist, dass beide Perspektiven wichtig sind, und so möchte ich argumentieren, dass es wichtig ist, sowohl auf die Gemeinsamkeiten als auch auf die Unterschiede zwischen Hunden und Wölfen zu schauen. Das gleiche gilt auch für unser eigenes Verhalten. Wir verhalten uns in vielerlei Hinsicht wie Schimpansen, in vielerlei Hinsicht natürlich aber auch nicht.
Jahrelang haben Wissenschaftler es als wertvoll empfunden, menschliches Verhalten dem von Primaten »vergleichend gegenüberzustellen«. In populärwissenschaftlichen Büchern wie Der nackte Affe und Der dritte Schimpanse oder akademischen wie Tools, Language and Cognition in Human Evolution (Werkzeuge, Sprache und Bewusstsein in der menschlichen Evolution) haben Wissenschaftler jahrzehntelang Menschen
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