Blutrote Sehnsucht
1. Kapitel
Transsylvanien,
Provinz des Habsburgerreiches,
September 1820
S ie ließen ihre Hände über seinen Körper gleiten. Sechs Hände strichen über seine Brust, über seine Hüften und Schenkel und die prallen Armmuskeln bis zu der Stelle, wo seine Handgelenke über seinem Kopf gefesselt waren. Ihre Fingernägel kratzten ein wenig, beinahe drohend. Er wusste, was bevorstand. Die Steinbank, auf der er lag, war hart unter seinem nackten Gesäß und seinen Schultern, aber es war zumindest warm im Zimmer. Sie liebten Hitze, die ein wahrer Luxus im Winter in den Karpaten war. Erhellt wurde der Raum nur von dem Feuer, das in dem mächtigen steinernen Kamin brannte und ihre Gesichter in dem flackernden Licht fast unwirklich erscheinen ließ. Ihre Augen glühten rot. Jetzt würden sie ihn sich gefügig machen. Ihr leises Stöhnen erfüllte das Gewölbe tief im Fels unter dem Kloster. Er kannte inzwischen jede Nische und Spalte dieses Raumes, der seine Folterkammer und vielleicht auch seine Rettung war.
»Nehmt ihn euch heute gründlich vor, Schwestern!«, flüsterte eine von ihnen, deren Brüste seinen Bauch streiften.
»Verdient er das Vertrauen unseres Vaters?«, raunte eine andere an seinem Ohr.
Er spürte das Ziehen in seinen Lenden, dem nachzugeben er nicht wagte, und hatte keine Ahnung, ob sie dieses Bedürfnis herbeiführten oder ob er selbst es war. Eine Zunge glitt über seine Brustwarze, und er konnte gar nicht anders, als sich ihr entgegenzubiegen. Die Ketten rasselten. Eine Hand umfasste seine Hoden. Er spürte das leichte Kratzen spitzer Zähne an seiner Kehle. Sie wollten heute Nacht Blut. Er wartete auf den Schmerz. Wie würde er ihre »Zuwendungen« in den endlos langen nächsten Stunden ertragen?
Buße. Du verdienst es, sagte er sich. Tausend Jahre Qual würden deine Verbrechen nicht sühnen. Aber du hast eine Chance, Erlösung zu erlangen, und sie werden dir dazu verhelfen.
Er atmete, wie sie es ihn gelehrt hatten, richtete seine Gedanken ganz nach innen und suchte nach einer Insel der Kontrolle. Seine Schultern entspannten sich. Jegliche Gefühlsregung verließ ihn nach und nach. Der Schmerz beim Öffnen seiner Halsschlagader war nur ein Begleitumstand, mehr nicht. Eine von ihnen trank sein Blut, während die anderen seine körperliche Erregung schürten.
Aber jetzt war er bereit zu allem, was auch immer sie mit ihm vorhaben mochten. Er würde tun und werden, was nötig war. Ganz gleich, was es ihn kostete, er würde Buße tun .
Cheddar Gorge, Wiltshire,
März 1822
»Ich werde nicht ewig leben, Ann.« Ihr Onkel Thaddeus blickte unter seinen buschigen weißen Augenbrauen zu ihr auf und faltete die Zeitung, die er las. »Mein Herz ist nicht in Ordnung.«
»Unsinn, Onkel. Du bist viel zu stur zum Sterben.« Ann van Helsing setzte sich in ihren Lieblingssessel und lächelte ihren Onkel an. Er war nicht stur, aber es ärgerte ihn, wenn sie behauptete, er sei es. Heute Abend wollte sie ihren Onkel nicht über das Sterben reden hören, auch wenn seine Haut in letzter Zeit wie Pergament aussah und er bei der geringsten Aufregung schon schwerer atmete. In der Bibliothek, in der sie saßen, brannte ein anheimelndes Feuer im Kamin, dessen Prasseln und Knacken fast das Klopfen der Äste gegen das Fenster und das Pfeifen des Windes draußen übertönte. Verführung , der letzte Roman von Jane Austen, lag offen auf einem zierlichen Tisch mit fein geschnitzten Beinen. Ann hielt ihren hölzernen Seitenwender darüber, den sie benutzte, weil sie die Seiten nicht direkt berühren konnte, da sie von zu vielen Menschen in der Leihbücherei angefasst worden waren. Aber es war so gemütlich in der Bibliothek, dass sie den Moment nicht mit Gerede über Tod und Sterben verderben wollte.
»Diesmal wirst du mich nicht vom Thema ablenken, junge Dame.« Ihr Onkel legte seine Zeitung beiseite und stemmte seine massige Gestalt aus dem roten Ledersessel vor ihr hoch. »Und ich bin nicht stur.«
Ann verkniff sich ein Lächeln und blickte zu seinem besorgten Gesicht auf, das ihr so lieb geworden war. Er meinte es nur gut mit ihr. »Nun, vielleicht könnten wir uns dann ja auf ... einen dickfelligen Charakter einigen?«
Aber Onkel Thaddeus war nicht zum Scherzen aufgelegt. »Du weißt, was dich vielleicht nach meinem Tod erwartet.« Seine Augen verdunkelten sich, seine Stimme war rau vor Emotion. »Dann musst du versorgt sein, Ann.«
»Das bin ich. Mein Vater hat sehr gute Vorsorge für mich getroffen. Ich habe
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