Das andere Ende der Leine: Was unseren Umgang mit Hunden bestimmt (German Edition)
der Umgang mit ihnen sicher gestaltet werden kann, wenn die Besitzer die Fähigkeit dazu haben und wenn die Umgebung stimmt. Aber egal wie sehr sich die Besitzer bemühen, manche Hunde sind einfach so geschädigt, dass sie ein inakzeptables Risiko darstellen. Es ist Teil meines Jobs, Gespräche über die moralische Zwickmühle zu beginnen, in der man Mitglieder der eigenen Spezies schützen muss, ohne dabei ein Wesen zu verraten, das praktisch ein Familienmitglied ist. Manche dieser Fälle können einem das Herz brechen. So ging es mir.
Was bei vielen dieser Geschichten auffällt ist, dass sie so oft genauso viel mit unserem eigenen Verhalten wie mit dem der Hunde zu tun haben. Ich sage das nicht in dem Sinne, dass die Besitzer nicht verantwortungsvoll genug gewesen wären, um ihre Hunde richtig zu halten und zu erziehen. Ich meine es in einem tieferen Sinn, nämlich in dem, wie unsere natürlichen Verhaltenstendenzen als Primaten ebenso natürliche Reaktionen bei Hunden hervorrufen können. Jede der beiden Parteien glaubt dabei, das Gegenüber würde bewusst etwas ganz Bestimmtes kommunizieren, was aber gar nicht der Fall ist.
Es erinnert mich an Diskussionen, die wir oft mit steigender Lautstärke und Pulsfrequenz mit unseren »Artgenossen« führen, bis uns auffällt, dass wir und die Person, mit der wir gerade streiten, über zwei völlig verschiedene Dinge sprechen und wir eigentlich völlig der gleichen Meinung sind. Ich erwähnte schon, wie unser Bedürfnis, Zuneigung zu einem Hund durch Umarmungen auszudrücken, uns beide in Schwierigkeiten bringen kann. Hunde verstehen Umarmungen oft als aggressive Geste und verteidigen sich gegen diese Verrücktheit mit der einzigen Waffe, die sie haben – ihren Zähnen. Da haben wir den Salat, obwohl wir ihnen doch nur mitteilen wollten, dass wir sie mögen.
Die gleiche Art von Fehlkommunikation sehe ich täglich draußen auf der Straße, wenn Menschen Hunde begrüßen möchten. Wir Primaten grüßen, indem wir mit dem Kopf aufeinander zugehen, die Vorderpfoten nach vorn ausgestreckt und mit direktem Kontakt von Gesicht zu Gesicht. Diese Tendenz ist so stark, dass Passanten sich sogar dann noch nach vorn beugen und die Hand vorstrecken, wenn ein Hund mit steifen Läufen gespannt dasteht oder sogar leise knurrt und sein Besitzer warnt: »Bitte streicheln Sie meinen Hund nicht! Er mag keine Fremden!« Die Welt ist voll von glücklosen Hundebesitzern, die ohne jede Wirkung versuchen, andere Menschen von etwas abzuhalten, was von Natur aus über sie kommt. Unsere eingefahrene Art und Weise der Begrüßung ist so stark, dass wir sogar klare Stoppsignale übergehen können.
Nicht alle diese Übersetzungsschwierigkeiten führen zu ernsthaften Problemen. Oft verwirren wir unsere Hunde einfach nur oder sabotieren unsere eigenen Erziehungsversuche. Wir verwirren sie, wenn wir, egal was sie tun, ständig Worte wiederholen, weil Schimpansen und Menschen genau dazu neigen, wenn sie aufgeregt sind. Weil Sprache für unsere Spezies so wichtig ist, sind wir uns der optischen Signale nicht bewusst, die wir an unsere Hunde senden, während wir mit dem Bilden langer Sätze beschäftigt sind. Wir erheben grundlos unsere Stimme und sind viel zu schnell dabei, bei Frustration mit einer Leine um uns zu werfen, weil es das ist, wozu zweibeinige Affen tendieren.
Sich auf das Verhalten an unserem Ende der Leine zu konzentrieren, ist ein neues Konzept der Hundeerziehung. Die meisten professionellen Hundetrainer verbringen sogar sehr wenig Zeit mit dem Training anderer Leute Hunde: Die meiste Zeit benötigen sie für das Training der Leute selbst. Glauben Sie mir, wir sind nicht gerade die am leichtesten zu trainierende Spezies. Sie müssten einmal nach einer Unterrichtsstunde in der Hundeschule zuhören, worüber sich die Trainer unterhalten. Es ist nicht immer Ihr Hund. Die Feststellung, dass Hunde leichter zu trainieren sind als Menschen, ist eines der wenigen Dinge, bei dem mehrere Hundetrainer einer Meinung sein werden. Es liegt nicht daran, dass wir dumm wären und nicht daran, dass wir nicht motiviert wären. Wir sind einfach wir, und genauso wie Hunde auf Gegenständen herumkauen und bellen, so neigen wir zu Dingen, die für uns natürlich sind, auch wenn sie uns nicht immer dienlich sind.
Gute, professionelle Hundetrainer sind zum einen deshalb gut, weil sie Hunde verstehen und wissen, wie sie lernen. Sie sind aber auch deshalb gut, weil sie sich ihres eigenen Verhaltens bewusst sind.
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