Das Auge Aldurs 3 - Der Riva Kodes
derselben Rasse angehörten wie die Melcener selbst: Gandahar, Darshiva, Peldane, Celanta und Rengel. Diese Königreiche wurden eins nach dem anderen von den Melcenern überrannt und in ihr wachsendes Reich eingegliedert.
Die herrschende Kraft im melcenischen Imperium war die Bürokratie. Im Gegensatz zu anderen Herrschaftsformen dieser Epoche, die häufig auf königlichen Willensentscheidungen oder persönlichen Machtkonzentrationen basierten, zeichnete sich die melcenische Regierung durch strikte Gewaltenteilung aus. Auch wenn eine bürokratische Regierungsform offensichtliche Schwächen besitzt, garantiert ein solcher Zugang zur Verwaltung doch auch die Vorzüge von Kontinuität und klarsichtigem Pragmatismus, dem es mehr darum geht, den praktischsten Weg zur Erledigung einer Aufgabe zu finden, als um Launen, Vorurteile und Egoismus, die personalisiertere Herrschaftsformen so oft unbrauchbar machen. Insbesondere die
melcenische Bürokratie war durch und durch praktisch. Das Konzept eines ›Talentadels‹ beherrschte das melcenische Denken, und falls eine Behörde ein talentiertes Individuum – egal welcher Herkunft – zu übersehen vorzog, wurde es unweigerlich von einer anderen Behörde vereinnahmt.
So kam es, daß die verschiedenen Abteilungen der melcenischen Regierung in die neueroberten Festlandprovinzen eilten, um die Bevölkerung auf der Suche nach Genies zu sichten. Die ›eroberten‹ Völker von Gandahar, Darshiva, Peldane, Celanta und Rengel wurden dieserart unmittelbar von der Hauptströmung des Reichslebens aufgesogen. Pragmatisch wie eh und je, beließen die Melcener die Königshäuser der fünf Festlandprovinzen an ihrem angestammten Platz und zogen es vor, über traditionelle Herrschaftstrukturen zu regieren, anstatt neue zu begründen. Obwohl der Titel ›König‹ auf den eines ›Fürsten‹ reduziert wurde, gilt es gemeinhin als ehrenvoller, ein ›Fürst des Reiches‹ als ein ›König‹ irgendeines kleinen Ostküstenkönigreichs zu sein. So blühten und gediehen also die sechs Fürstentümer des melcenischen Reiches in einer Art von Brüderlichkeit, die auf der strikt pragmatischen Gesinnung basierte. Der Besitz von Talent ist in Melcene ein universeller Paß und ist wertvoller als Reichtum oder Macht.
Die nächsten 1800 Jahre erlebte das melcenische Reich eine ungestörte Blüte, weit fort vom theologischen und politischen Gezänk des westlichen Teils des Kontinents. Die melcenische Kultur war weltlich, zivilisiert und höchst gebildet. Sklaverei war unbekannt, und der Handel mit den Angarakanern und den ihnen unterworfenen Völkern von Karanda und Dalasien verlief äußerst gewinnbringend. Die alte kaiserliche Hauptstadt in Melcene wurde zu einem Zentrum des Wissens. Unglücklicherweise war ein wichtiger Teil der melcenischen Forschung stark auf das Arkane ausgerichtet. Ihre Magie (die Beschwörung böser Geister) ging weit über den primitiven Hokuspokus der Karandeser und Morindim hinaus und drang in dunklere und ernstere Regionen vor. In der Hexerei und der Nekromantie machten sie erstaunliche Fortschritte. Das hauptsächliche Gebiet ihrer Bemühungen jedoch war die Alchemie. Erstaunlicherweise läßt sich dazu bemerken, daß es einigen melcenischen Alchemisten tatsächlich gelang, niedere Metalle in Gold zu verwandeln – auch wenn die Mühen und Kosten, die man dafür aufwenden mußte, den Vorgang völlig unrentabel machten. Es war indes ein melcenischer Alchemist, Senji der Klumpfuß, der bei einem seiner Experimente aus purem Zufall über das Geheimnis des Willens und des Wortes stolperte. Senji, ein Arzt des 15. Jahrhunderts an der Universität in der Kaiserstadt, war berüchtigt für seine Unfähigkeit. Um das Kind beim Namen zu nennen, Senjis Experimente verwandelten häufiger Gold in Blei als umgekehrt. In einem Anfall von Zorn und Enttäuschung über das Fehlschlagen seines jüngsten Experiments verwandelte Senji unabsichtlich eine halbe Tonne Messingrohre in reines Gold. Zwischen dem Amt für Geldangelegenheiten, dem Amt für Bergbau, der Abteilung Hygiene, der Fakultät des Kollegs für Alchemie und der Fakultät des Kollegs für Vergleichende Religionswissenschaften entspann sich ein sofortiger Streit darüber, welcher dieser Institutionen die Kontrolle über Senjis Entdeckung zustände. Nach etwa dreihundert Jahren intensiver Diskussion fiel den Disputanten mit einem Mal auf, daß Senji nicht nur ausgesprochen talentiert, sondern darüber hinaus auch unsterblich zu
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