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STEPHEN
KING
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ROSE MADDER
bitland
2001.12.06 22:15:54
+01‘00’
ROMAN
Aus dem Amerikanischen
von Joachim Körber
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
Titel der amerikanischen Originalausgabe: Rose Madder
Die Originalausgabe erschien bei Viking, Penguin Inc., New York
Copyright © 1995 by Stephen King
Copyright © 1995 der deutschen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag
GmbH & Co.KG, München
Umschlaggestaltung: Christian Diener, München
Satz: Leingärtner, Nabburg
Druck und Bindung: Ueberreuter, Korneuburg
Printed in Austria
ISBN 3-453-09078-0
Für Joan Marks
Ich bin richtig Rosie,
Und ich bin Rosie Richtig,
Ihr glaubt mir besser,
Ich bin ziemlich wichtig …
Maurice Sendak
Ein blutiger
Dotter. Ein Brandloch,
das sich in einem Blatt Papier ausbreitet.
Eine erboste Rose, die gerade zu erblühen droht.
May Swenson
Prolog
Dunkle Küsse
Sie sitzt in der Ecke und versucht, Luft in einem Zimmer einzuatmen, in dem es bis eben noch genügend gegeben hat, die
aber nun völlig verschwunden zu sein scheint. Wie aus weiter Ferne hört sie ein dünnes Hchch-hchch und weiß, es ist die
Luft, die ihren Hals hinabströmt und in fiebrigen, kurzen
Stößen wieder entweicht, aber das ändert nichts an dem
Gefühl, daß sie hier in der Ecke ihres Wohnzimmers ertrinkt,
während sie die Fetzen des Romans betrachtet, in dem sie
gelesen hatte, als ihr Mann nach Hause kam.
Nicht, daß es ihr viel ausmacht. Die Schmerzen sind so
groß, sie kann nicht auf Nebensächlichkeiten wie Atmung
oder die Tatsache achten, daß kein Sauerstoff mehr in der
Luft zu sein scheint, die sie einatmet. Die Schmerzen haben
sie verschluckt wie der Wal angeblich Jonas, diesen heiligen
Kriegsdienstverweigerer. Sie pochen wie eine giftige Sonne,
die tief in ihrem Inneren scheint, an einer Stelle, wo bis heute
abend nur das angenehme Gefühl von etwas heranwachsendem Neuen vorgeherrscht hat. Etwas Gutem.
Schmerzen wie diese hat sie, soweit sie sich erinnern kann,
noch niemals empfunden
- nicht einmal damals, mit dreizehn, als sie mit dem Fahrrad einem Schlagloch ausweichen
wollte, stürzte, sich den Kopf auf dem Asphalt aufschlug
und eine Platzwunde zuzog, die, wie sich später herausstellte, genau elf Stiche lang war. Sie erinnerte sich an eine silberne Lanze des Schmerzes, gefolgt von einer dunklen,
sternenerfüllten Überraschung, die in Wirklichkeit eine
kurze Ohnmacht gewesen war … aber jene Schmerzen hielten keinem Vergleich mit diesen Qualen stand. Diesen
schrecklichen Qualen. Ihre Hand auf ihrem Bauch spürt
Haut, die keine Haut mehr ist; als wäre ihr Leib aufgeschnitten und das lebende Baby durch einen heißen Stein ersetzt
worden.
O Gott, bitte, denkt sie. Bitte laß das Baby unversehrt sein.
Aber jetzt, wo ihr Atmen sich endlich ein wenig normalisiert, stellt sie fest, daß das Baby nicht unversehrt ist, daß er
dafür gesorgt hat. Wenn du im vierten Monat schwanger
bist, dann ist das Baby immer noch mehr ein Teil von dir als
von sich selbst, und wenn du in einer Ecke hockst, das Haar
dir in verschwitzten Strähnen am Gesicht klebt und du dich
fühlst, als hättest du einen heißen Stein verschluckt…
Etwas haucht dunkle, feuchte Küsse auf die Innenseiten
ihrer Oberschenkel.
»Nein«, flüstert sie, »nein. O gütiger Gott, nein. Großer
Gott, barmherziger Gott, lieber Gott, nein.«
Laß es Schweiß sein, denkt sie. Laß es Schweiß sein… oder vielleicht hob ich mir auch in die Hose gemacht. Ja, das ist es wahrscheinlich. Als er mich zum drittenmal geschlagen hat, hat es so
wehgetan, daß ich mir in die Hose gemacht und es nicht mal
bemerkt habe. Das ist es.
Aber es ist weder Schweiß noch Pipi. Es ist Blut. Sie sitzt
hier, in der Ecke des Wohnzimmers, betrachtet das verstümmelte Taschenbuch, das halb auf dem Sofa und halb unter
dem Beistelltisch liegt, und ihre Gebärmutter ist im Begriff,
das Baby zu erbrechen, das sie bis jetzt ohne Beschwerden
oder irgendwelche Probleme getragen hat.
»Nein«, stöhnt sie, »nein, lieber Gott, bitte sag nein.«
Sie kann den Schatten ihres Mannes sehen, der verzerrt
und in die Länge gezogen wie eine Vogelscheuche oder der
Schatten eines Gehängten an der Wand des Durchgangs vom
Wohnzimmer in die Küche tanzt. Sie kann einen Schattentelefonhörer sehen, der an ein Schattenohr gepreßt wird, und
den langen Schatten der Spiralkordel. Sie kann sogar seine
Schattenfinger sehen, die die Spiralen aus dem Kabel drehen,
sie einen Moment festhalten und dann in ihre ursprüngliche
Form
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