Das Bild
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wir ihm ein kleines Baseballtrikot. Wenn es ein Mädchen
wird …«
- er macht eine unbestimmte Geste
- »… eine
Damenhaube oder so was. Wirst schon sehen. So wird es
sein.« Dann lächelt er, und bei dem Anblick möchte sie am
liebsten schreien. Als würde man einen Leichnam in seinem
Sarg grinsen sehen. »Hör auf meine Worte, alles wird gut.
Darauf kannst du dich verlassen, Herzblatt.«
Dann macht er die Tür auf, läßt die Sanitäter herein und
sagt ihnen, sie sollten sich beeilen, überall sei Blut. Sie
schließt die Augen, als sie zu ihr kommen, damit sie keine
Möglichkeit haben, in ihr Innerstes zu sehen, und sie drängt
ihre Stimmen so gut sie kann in den Hintergrund.
Keine Angst, Rose, mach kein Theater, es ist eine Kleinigkeit, nur
ein Baby, du kannst ein neues haben.
Eine Nadel piekst in ihren Arm, dann wird sie hochgehoben. Sie läßt die Augen geschlossen und denkt: Ja, gut, ich
schätze, ich kann ein neues Baby haben. Ich kann es haben und vor
ihm in Sicherheit bringen. Vor seiner mörderischen Wut.
Aber die Zeit vergeht, und langsam verschwindet der
Gedanke, ihn zu verlassen - der ohnehin nie richtig formuliert worden ist -, wie das Wissen um eine rationale, wache
Welt im Schlaf versinkt; mit der Zeit gibt es keine Welt mehr
für sie, außer der Welt des Traums, in dem sie lebt, eines
Traums der denen gleicht, die sie als kleines Mädchen hatte,
in denen sie lief und lief, wie in einem Wald ohne Wege oder
einem schattigen Labyrinth, während der Hufschlag eines
großen Tieres sie verfolgte, ein furchteinflößendes, wahnsinniges Geschöpf, das unaufhaltsam näherkam und sie irgendwann einmal erwischt hätte, so oft sie auch Haken schlug
oder um Biegungen lief oder Spurts einlegte oder Kehrtwendungen machte.
Dem wachen Geist ist das Konzept des Traums bekannt,
aber für den Träumenden gibt es kein Erwachen, keine wirkliche Welt, keine sichere Zuflucht; nur das kreischende Tohuwabohu des Schlafs. Rose McClendon Daniels schlief noch
neun weitere Jahre im Wahnsinn ihres Mannes.
I
Ein Tropfen Blut
1
Alles in allem waren es vierzehn Jahre in der Hölle, aber das
bekam sie kaum mit. Den größten Teil dieser Jahre verbrachte sie in einer so tiefen Benommenheit, daß sie dem
Tode gleichkam, und mehr als einmal war sie fast überzeugt
davon, daß sich ihr Leben so gar nicht abspielte, daß sie eines
Tages erwachen, gähnen und sich strecken würde
- so
hübsch wie die Heldin eines Zeichentrickfilms von Walt Disney. Diesen Gedanken hatte sie meistens dann, wenn er sie so
sehr verprügelt hatte, daß sie eine Weile das Bett hüten
mußte, um sich wieder zu erholen. Das machte er drei- bis
viermal pro Jahr. 1985 - das Jahr von Wendy Jarrow, das Jahr
der offiziellen Disziplinarmaßnahme, das Jahr der »Fehlgeburt« - war es fast ein Dutzendmal geschehen. Im September
dieses Jahres erlebte sie den zweiten und letzten Krankenhausaufenthalt als Folge von Normans Anwandlungen …,
den jedenfalls bis jetzt letzten. Sie hatte Blut gehustet. Er hinderte sie drei Tage lang daran, zu gehen, weil er hoffte, es
würde wieder aufhören, aber als es statt dessen schlimmer
wurde, befahl er ihr einfach, was sie sagen sollte (er befahl ihr immer, was sie sagen sollte) und brachte sie ins St. Mary’s.
Dorthin brachte er sie, weil die Sanitäter sie nach der »Fehlgeburt« ins City General gebracht hatten. Wie sich herausstellte, hatte sie eine gebrochene Rippe, die in die Lunge
stach. Sie erzählte die Geschichte vom Sturz die Treppe hinunter zum zweitenmal innerhalb von drei Monaten und war
überzeugt, daß nicht einmal der Internist, der die Untersuchung und Behandlung überwachte, sie diesmal glaubte,
aber niemand stellte unbequeme Fragen; sie verarzteten sie
nur und schickten sie wieder nach Hause. Aber Norman
wußte, er hatte Glück gehabt, und danach war er vorsichtiger.
Manchmal, wenn sie nachts im Bett lag, schössen ihr Bilder
durch den Kopf wie seltsame Kometen. Das häufigste war
das der Faust ihres Mannes, mit getrocknetem Blut an den
Knöcheln und auf der Goldgravur seines Rings von der Polizeiakademie. Manchmal waren die Worte auf diesem Ring Hilfsbereitschaft, Loyalität, Kameradschaft am Morgen in die
Haut ihres Bauchs gedrückt oder auf einer ihrer Brüste abgebildet. Dabei mußte sie nicht selten an die blauen Stempel
des Fleischbeschauers denken, die man auf Schweineschnitzeln oder Steaks sehen konnte.
Sie war immer dabei, gerade einzudösen, entspannt und
gelöst, wenn diese Bilder kamen.
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