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Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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gebrochen – alle verfluchte Faschisten geworden, ehe sie ihre hundert Gramm Brot gekriegt haben. Könnte ich mir vorstellen.
    Natürlich kommt mir Sozialismus in den Sinn, weil ich mich dadurch noch unbehaglicher fühle, obwohl mir doch schon, könnte man sagen, außerordentlich bewusst ist, dass mir allein das Betrachten dieses Luxusdampfers – aus der Ferne – ein leicht schmutziges, irgendwie falsches Gefühl gibt.
    Hinter uns wird das Land in Stücke gehackt und als Braten verkauft, und uns ist das offenkundig egal – wir schiffen uns ein und fahren einfach davon.
    Schlechtes Gewissen. Das kriege ich davon. Fühle mich langsam ganz klebrig.
    Oder nicht langsam – könnte mir schon eine Weile so gehen.
    Geht mir schon eine Weile so.
    Ich möchte mich waschen. Mich hinlegen und mich waschen und mich dann wieder hinlegen. Und dann wieder waschen.
    Und natürlich bin ich an dieser Stelle ganz undemokratisch verärgert über den völligen Mangel an Luxus – billiger Teppich, Fertigwände, grau klingende Lautsprecherdurchsagen, die sich auf technische/nautische Schwierigkeiten und Verspätungen beziehen – die beunruhigend sein könnten oder auch nicht: Ich verstehe kein Wort davon – und eine Reihe irgendwie schäbiger Abfertigungsschalter, hinter denen uniformierte Frauen sehr langsam so gut wie nichts tun.
    Warum sind wir hier ? Wir sind doch keine Kreuzfahrttypen . Keine Typen für Ringewerfen und Gin Slings und Rubberbridge . Oder solche, die mit hoher Geschwindigkeit und optionaler Erläuterung an Denkmälern vorbeigefahren werden . Keine Typen für heute Abend findet im Galaxy Room die Mottodisco zum Jahr 1974 statt . Wir werden uns nicht im Rauschzustand tätowieren lassen oder marokkanische Knaben kaufen oder reiche Tanten über die Reling stoßen, und wir werden – hoffentlich – nicht bei einer unerfreulichen, aber geschichtsträchtigen mittelatlantischen Havarie ums Leben kommen.
    Warum sind wir hier?
    Warum bin ich hier?
    Warum bin ich mit Derek hier?
    Warum ist Derek mit mir hier?
    Warum stehen wir in einer reglosen Schlange, die uns im besten Fall in einen Aufenthaltsraum leitet, in dem unspektakuläre Automaten herumstehen, und eine Frau, die anscheinend Tee und erschreckend kümmerliche Sandwiches feilbietet. Vielleicht hat sie auch Kekse, das kann ich von hier aus nicht sehen.
    Immerhin gibt es Toiletten.
    Momentan noch außer Reichweite, aber gut zu wissen, dass dafür gesorgt wurde.
    Dahinten.
    Wo wir nichts mit ihnen anfangen können.
    Natürlich könnte ich rasch weghuschen und mich erleichtern, wenn ich müsste, auch wenn es Derek vielleicht nicht gefiele – dass ich ihn allein lasse.
    Er hat so eine Laune.
    Hat nichts gesagt, braucht er auch nicht, in solcher Laune spricht er nicht. Seine miese Stimmung erklärt sich von selbst durch sein mächtig schweres Schweigen.
    Doch auch ohne sich des Mediums Sprache zu bedienen, macht er deutlich, dass er nicht von unfassbar Uralten umgeben sein möchte, die über ihre Pillen jammern, und über ihr Gepäck und über ihre Füße, oder die – sollten sie wie durch ein Wunder tatsächlich abgefertigt worden sein – zwischen der Teefrau und den Toiletten hin und her schlurfen, Sandwiches mümmeln und offenbar kurz vor ihrem letzten Seufzer stehen.
    Wir sind mit Abstand das jüngste Paar hier. Wir sind auch das größte. Derek ist jedenfalls der größte Mann. Gerade so. Kein Zweifel, sollte er – wie unsere Schlangennachbarn – 180 Jahre alt werden, so dürften auch seine Wirbel zu Staub und Schmerz zerfallen und er ein Stück kleiner sein, oder zusammengekrümmt wie der Kerl da drüben, der praktisch, Herrgott noch mal, durch die eigenen Beine hindurch auf sein Leben zurückschaut. Das ist doch sicher noch nicht da gewesen. Andererseits, wer möchte in seinem Alter noch nach vorn schauen müssen?
    Vor Elizabeth zieht Derek den Kopf ein, die Schultern hoch und reibt eine Hand ins Haar, kämmt es durch.
    Schmutzigblond.
    Und sie erinnert sich, wie sie heute Morgen auf der Seite lag, gerade erwacht, noch sacht in ihr Selbst zurückfindend und verwirrt von einem Gedanken, von der Vorstellung des Haltens – sie hatte das ganz und gar deutliche Gefühl, den Arm um warme, atmende Rippen, eine schlanke Brust gelegt zu haben – ein Traum davon, wie sie sich dicht an die Krümmung seines Rückgrats schmiegte. Doch sie hielt niemanden im Arm.
    Hypnopompische Halluzinationen. Nicht ungewöhnlich. Könnte mit Stress zusammenhängen.
    Ich habe

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