Flammenbrut
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|9| Kapitel 1
Das Lagerhaus hatte die ganze Nacht gebrannt. Rauch stieg gen Himmel, eine dunklere Wolke in einem verhangenen Morgenhimmel.
Der Feuergeruch machte die Luft zum Schneiden dick, verlieh dem Frühlingstag einen verfrühten Hauch von Herbst.
Die Rushhour-Gesichter draußen vor King’s Cross waren der dunklen Säule zugewandt, als Kate die Treppe der U-Bahn -Station heraufkam. Zuerst sah sie den Rauch über den Dächern vor sich, dann versperrte ihr die dichte Bebauung den Blick
darauf.
Kate beachtete ihn kaum. Ein Schmerzgefühl, wie von einer Verspannung, kroch ihren Nacken hinauf. Sie hatte gerade ein Aspirin
genommen und verzog bei dem bitteren Geschmack das Gesicht, als sie um eine Ecke bog und das Feuer direkt vor sich hatte.
Sie hielt inne, verblüfft, dem Brand so nah zu sein, ging aber weiter, sobald ihr klar wurde, dass die Straße nicht abgesperrt
war. Als sie sich weiter näherte, wurde das Tosen und Prasseln der Flammen lauter. Das etwas abseits von der Straße gelegene
Lagerhaus war umringt von einem Gewimmel aus Uniformen und gelben Helmen, weißen Autos und roten Feuerwehrwagen. Wasserschläuche
schlängelten sich über den Boden, schleuderten Wasserfontänen |10| in den Rauch. Die Flammen züngelten vielfarbig in alle Richtungen, kümmerten sich nicht um das schnell verdampfende Wasser.
Ein heißer Windhauch strich über ihr Gesicht und überzog es mit Asche. Kate wandte sich mit brennenden Augen ab und stellte
mit einiger Überraschung fest, dass sie tatsächlich stehengeblieben war. Sie ärgerte sich darüber, und statt weiter zu gaffen,
machte sie einen großen Bogen um die kleine Menschenmenge, die sich hinter dem Polizeikordon angesammelt hatte.
Das Lagerhaus lag jetzt hinter ihr. Als sie mehrere Straßen davon entfernt zu den georgianischen Reihenhäusern kam, hatte
Kate es bereits vergessen. Die meisten Reihenhäuser hier waren ziemlich heruntergekommen, nur eines von ihnen stach mit seinem
frischen Anstrich hervor wie eine erhobene Hand in einem Klassenzimmer. Auf einem Fenster im unteren Stock standen in Goldlettern
die Worte: «Powell PR & Marketing».
In dem kleinen Büro drängten sich drei Schreibtische; sie waren so aufgestellt, dass man von jedem aus die anderen sehen konnte.
An einem dieser Schreibtische stand ein hochgewachsener Westinder mit glattrasiertem Kopf und goss Wasser in einen Kaffeefilter.
Er begrüßte sie mit einem Grinsen.
«Morgen, Kate.»
«Hallo, Clive.»
Die Kaffeemaschine zischte und gurgelte. Der Mann kippte den Rest Wasser in den Filter und setzte die Kanne ab. «Tja. Der
große Tag.»
Er sprach mit ganz leichtem Tyneside-Akzent. Kate trat vor einen der großen Aktenschränke und zog eine Schublade auf. «Erinnere
mich bloß nicht daran.»
|11| «Nervös?»
«Sagen wir, ich bin froh, wenn ich endlich Gewissheit habe, so oder so.»
Die Kaffeemaschine gab nur noch ein leises Zischen von sich. Clive schenkte zwei Tassen ein und reichte eine davon Kate. Er
hatte fast von Anfang an für sie gearbeitet, seit sie vor beinahe drei Jahren die Agentur eröffnet hatte, und wenn sie sich
jemals einen Partner nahm, würde er es sein.
«Bist du unterwegs an dem Feuer vorbeigekommen?» «Mhm.» Kate ging die Aktenordner im Schrank durch.
«Hat anscheinend die halbe Nacht gebrannt. Schlimme Sache, das mit dem Kind, was?»
Sie sah ihn an. «Was für ein Kind?»
«Das Baby. Da haben doch ein paar Hausbesetzer gewohnt. Sie sind alle rausgekommen, nur das Baby nicht. In den Nachrichten
hieß es, die Mutter habe sich schwere Brandverletzungen zugezogen, als sie es noch retten wollte. Zwei Monate alt.»
Kate setzte ihre Kaffeetasse ab. Sie bemerkte, dass ihr noch immer der Rauchgestank anhaftete, und blickte an sich herab;
winzige Flöckchen grauer Asche bedeckten ihre Kleider. Sie erinnerte sich an die federleichte Berührung der Asche auf ihrem
Gesicht, das Kitzeln in ihrer Kehle, als sie sie eingeatmet hatte. Noch einmal spürte sie das Brennen in ihrem Hals.
Sie schloss den Aktenschrank, ohne etwas herauszunehmen. «Ich bin dann oben.»
Ihr Büro lag im ersten Stock. Kate schloss die Tür und klopfte sich die grauen Pünktchen von ihrem marineblauen Kostüm. Sie
wusste, dass sie sich in dem Kostüm erst wieder wohl fühlen würde, wenn es gereinigt war. |12| Sie hängte ihre Jacke hinter die Tür und trat an das einzige Fenster des Raumes. Als sie hinausblickte, konnte sie ihr Spiegelbild
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