Das blaue Buch - Roman
Stress.
Sogar beträchtlichen Stress.
Eine lange Wirbelsäule, deutlich artikuliert, und dann hatte sich der Traum geschlossen und sie ihn vermisst.
Albern.
Mehr als albern – ziemlich viel mehr als das.
Mehr als albern ist im Moment das Allerbeste, was ich aufbringen kann.
Derek war schon aufgestanden und in der Hoteldusche herumgepoltert, zum Waschbecken getrottet, hatte sich die Zähne geputzt, ausgespuckt, sich geräuspert, sich rasiert, vergessen und dann doch nicht vergessen, sich zu kämmen. Er hatte sich ausgehfertig gemacht, während Beth still mit einer heißen Illusion zurückgeblieben war, die sie eindrücklich und überzeugend fand.
Später im Taxi hatte sie seine Hand gehalten, als sie zum Dock aufgebrochen waren. Sie hatte seine Fingerknöchel gefühlt, hatte einen kleinen Stoß Nervosität verspürt, als die bleiche Seitenwand des Schiffes näher kam, ein immer höherer Klotz – wie ein Gebäude, viel zu groß, um schwimmen zu können.
Aber es wird. Darauf vertraue ich voll und ganz. Riesenschiff für einen Riesenozean, das ist kein Problem.
Und wir mussten ja auch nicht mal dafür bezahlen. Dies ist ein – wie würde man das nennen? – ein warmer Regen. Ein womöglich glücklicher Zufall.
Andererseits gibt es nichts umsonst, auch keine Kreuzfahrt. Das ist zwar keine verbreitete Redensart, könnte aber eine werden – passt vielleicht auch ganz gut …
Wir machen allerdings gar keine Kreuzfahrt, man kann es ehrlicherweise nicht so nennen. Es handelt sich um Passagiertransport – von Southampton nach New York – wie eine Busfahrt.
Na ja, nicht direkt eine Busfahrt.
Eher so, als bekäme man beigebracht, das romantische Potential von Tee um vier und Kabinenstewards und Sonnenuntergängen überm Heck vor dem frühen Schlafengehen schätzen zu lernen.
Sonnenuntergänge überm Bug. Wir fahren Richtung Westen – also überm Bug. Wo man ungeschützt vom Wind gepeitscht und erfrieren würde. Nicht sehr romantisch.
Also nur frühes Schlafengehen.
Als würde man mitten in einem gigantischen Katastrophenfilm mit einem Ensemble von so gut wie Toten bereitwillig bewusstlos werden.
Herrgott, ich weiß nicht, wieso ich mir das antue.
Ich weiß es einfach nicht.
»Langweilig, nicht wahr? Oder vielleicht weniger langweilig als vielmehr beunruhigend . Also, ich bin jedenfalls beunruhigt … Für alle anderen kann ich nicht sprechen. Entschuldigung …« Das ist der Mann, der in der Schlange hinter ihr gelandet ist.
Hinter ihm steht die spröde Dame mit dem aggressiven Schmuck – die Elizabeth als still trinkende Witwe eingeordnet hat und die wahrhaftig von jemandem begleitet wird, den man früher womöglich einen Begleiter genannt hätte.
Ich wette, sie wird sich noch als laute Trinkerin erweisen.
Elizabeth fängt an, Hypothesen über viele ihrer ziemlich baldigen Mitpassagiere aufzustellen.
Über den Mann hat sie keine Theorie. Er scheint nichts Besonderes zu sein. Er hat eine Hand in der Hosentasche, und wenn er mit Gepäck reist, muss er es bereits zum Verladen gegeben haben, denn außer einem dunkelbraunen Mantel trägt er nichts bei sich. Es ist ein bemerkenswert guter Mantel, auch wenn er ihm nichts zu bedeuten scheint, denn er trägt ihn achtlos gefaltet über dem Arm.
Er wird zerknittern.
Und wenn sie sein Gepäck verlieren, wird es ihm leidtun.
Nein. Nein, wird es nicht.
Sein Anzug ist zwar schlecht gepflegt, doch er sitzt verdächtig gut.
Für ihn gemacht.
Wenn sie sein Gepäck verlieren, würde er sich neues kaufen. Es gibt nichts, was er nicht ersetzen könnte.
Würde ich jedenfalls schätzen.
Auch wenn sie weiß, das ist nicht fair, findet sie es in gewisser Weise verabscheuungswürdig, wenn ein Mensch seinen Besitz nicht zu schätzen weiß, seine Kleider nicht braucht.
Sollte das der Fall sein. Ich beurteile das Buch nach seinem Umschlag – man sollte niemanden nach seinem Äußeren beurteilen.
»Ich bitte um Entschuldigung. Vielleicht wollten Sie gar nicht reden.«
»Was?« Sie will nicht unhöflich wirken. Zu einem Fremden Was? zu sagen würde so gut wie jeder als unhöflich betrachten. Jemanden zu ignorieren, wenn er einen anspricht, und sich stattdessen Gedanken über ihn zu machen, ist auch unhöflich. »Ähm …« Und es noch einmal zu tun, wäre noch unhöflicher. »Tut mir leid.« Ob man ihn kennt oder nicht.
»Aha. Dann tut es uns also beiden leid.« Er wühlt heftig in den Taschen seines Mantels und hört dann wieder auf. Er neigt den Kopf und richtet
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