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Das blaue Haus (German Edition)

Das blaue Haus (German Edition)

Titel: Das blaue Haus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Schreiner
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Stationsgang offen ließ. Dr. Brickson hatte es so angeordnet, ebenso die Entfernung der Sonde. Er wollte einen Versuch wagen, vermutete etwas. Und er lag nicht falsch. Die geöffnete Zimmertür wurde zu einer Falle und brachte Dane völlig aus dem Konzept.
Gegen die Meinungen seiner Kollegen hatte Dr. Brickson seine Ansicht durchgesetzt, Dane auf diese Weise aus der Resignation zu holen. Die Bewegungen auf dem Flur waren tagsüber sehr rege und durchaus nicht leise. Es war ein Versuch, Dane in die Aufmerksamkeit der Station zu ziehen. Was er und Danes Ehefrau Sarah nicht schafften, schafften vielleicht die Patienten.
Aus Danes Stille wurde damit ein Chaos aus Geräuschen und Gerüchen und raubte ihm Ruhe und Konzentration. Auf dem Flur gerieten Patienten an das Personal und umgedreht, doch meistens gerieten die Patienten unter sich aneinander.
Da war der Gesang vom alten Joe, der schon seit über sieben Jahren auf der Station tagein, tagaus sein Leben vor seinem Zimmer auf dem Boden verbrachte und das Lied vom Old Man River vor sich hinsang. Er konnte sich an kein anderes Lied mehr erinnern.
Thomas schrie alle Patienten mit den Worten Ihr kriegt mich nicht! an, wofür er hin und wieder eine Ohrfeige oder eine gehörige Portion Speichel ins Gesicht kassierte. Und Joseph, der den ganzen Tag vor sich hinlachte ...
Es gab Läufer und Schleicher, es gab Kicherer und Stumme, Klatscher und Flüsterer, es gab Beobachter und Abwesende. Sie alle tummelten sich tagsüber durch die Station, wenn sie nicht hin und wieder nach draußen in den Garten durften. Es roch nach Essen, Urin und Blähungen und manchmal auch nach Erbrochenem. Die Wände waren vergilbt und gepolstert – abwaschbar natürlich. Die Fenster trugen Gitter von innen, um das Glas wenigstens halbwegs zu schützen. Holzbesteck und bruchsicheres Geschirr wurden zu den Mahlzeiten immer nur kurz aufgetischt. Man fand nichts, was direkt zu einer Waffe zweckentfremdet werden konnte. Nirgends in der Psychiatrie Heaven ging es brutaler zu als im Sicherheitstrakt drei. Die Patienten waren durch ein merkwürdiges unsichtbares Band verbunden. Sie hassten und stritten sich, aber sie alle waren froh, sich zu haben und nicht alleine mit ihrem Schicksal zu sein. Jeder hatte seine Geschichte und vereinzelt auch einst das Kostüm eines Täters oder Amokläufers getragen. Gemeinsam verband sie das Wissen, nie mehr in Freiheit zu kommen.
Oft bildeten sich zwei Gruppen. Sie schlichen mit flüsternden Worten und verletzenden Blicken umher, als könnten sie durch ihre pure Ausstrahlung töten. Ihre Emotionen waren von morgens bis abends wie Sprengstoff geladen. Jeder Patient trug seine eigene Waffe mit sich herum und war es nur ein Wort oder ein Blick. Das konnte ihnen kein Pfleger, niemand nehmen. Das war ihnen nur von den Medikamenten zu nehmen.
Die eine Gruppe bestand aus Patienten, die von Geburt an geistesgestört waren und ihr Leben nur mit Brutalität und Gewalt verbanden. Sie waren einzig und allein auf Station drei zu betreuen. Sie hatten ihr Leben kaum anders kennengelernt und die Außenwelt schon gar nicht. Sie stießen auf der Station auf die zweite Gruppe – die Wechsler. Sie waren vielleicht einmal normal gewesen, wer wusste das schon? Zumindest hatten sie die Außenwelt kennengelernt und durch eine psychische Erkrankung den Weg in diese Station gefunden.
Die Wechsler fühlten sich schlauer und überlegener als die erste Gruppe. Das führte dann ständig zu Auseinandersetzungen, in die nur ausgebildete Pfleger eingreifen konnten. Wenn sie zudem stark waren, war es eindeutig von Vorteil. Hin und wieder musste ein Pfleger selbst auf die Krankenstation gebracht werden, wenn der Tumult zu stark wurde. Das hatte zur Folge, dass die Pfleger von den Ärzten gerne regelmäßig ausgewechselt wurden, es für die Patienten dadurch aber kompliziert wurde. Von Vertrauensaufbau konnte man kaum sprechen, ebenso wenig von einer psychischen Betreuung – außer den wenigen Gesprächsstunden mit dem Stationsarzt natürlich. Danach waren sie wieder im Getümmel des Wahnsinns und der Gewalt, die die Pfleger nur mühsam oder eigentlich gar nicht in den Griff bekamen.
    Es hatte eine große Aufregung gegeben, als Dane Gelton Ende September auf diese Station gelegt wurde. Über mitteilungsfreudige Pfleger hatten sich die Patienten schnell ein Bild von ihm verschafft und zum ersten Mal seit langer Zeit wieder so etwas wie Angst gespürt. Sie reagierten ihre Angst ab, indem sie sich in heftigen

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