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Das blaue Mädchen

Titel: Das blaue Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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Bestechungen. Affären. Skandale.
    Es ging um nichts als das eigene Wollen.
    Bei den Kindern des Mondes war eigenes Wollen undenkbar. Es gab nur einen Willen und das war der Wille der Mondheit, repräsentiert durch La Lune.
    Die Mondheit war weder Mann noch Frau. Sie war eine Gottheit mit zwei Gesichtern. Ihre Statuen standen überall, ein Gesicht nach rechts gewandt, eins nach links, der Ausdruck des einen voller Güte, der des anderen abweisend und streng.
    Jana beeilte sich. Sie verlor sich oft in Gedanken und war deshalb immer in Gefahr, zu spät zu kommen. Sie warf noch rasch einen Blick in den Spiegel. Die Farbe der Mädchen war blau. Nicht das zarte Blau des Himmels an einem Sommermorgen, sondern das tiefe Blau von Kornblumen. Jana war froh darüber, denn dieses Blau passte gut zu ihren Augen, die mal blau waren, mal grau. Es hing von ihren Stimmungen ab.
    Heute waren sie grau.
    Jana war zu eitel, das hatte La Lune ihr schon mehrmals gesagt. Sie betrachtete gern ihr Gesicht, mochte ihr Spiegelbild. Manchmal beneidete sie die Dorfmädchen, die sich kleiden durften, wie sie wollten, denen es sogar erlaubt war, sich zu schminken und das Haar kurz zu tragen.
    Es gab Zwillingsschwestern im Ort, die ihr besonders gefielen. Sie waren nicht voneinander zu unterscheiden. Beide hatten blondes, streichholzkurzes Haar und dunkle Augen. Fast immer waren sie zu zweit, und schon bevor man sie sah, hörte man ihr Lachen und ihre hellen Stimmen.
    Im Sommer trugen sie kurze Hosen oder Röcke, ihre langen Beine waren sonnengebräunt. Ihre Lieblingsfarbe schien Schwarz zu sein und Jana fragte sich oft, wieso die beiden sich für eine einzige Farbe entschieden (die noch nicht mal eine war), wo sie doch die Wahl hatten. Sie konnten alles tragen, Rot, Blau, Gelb, Weiß, Orange, Grün oder Pink. Sie konnten die Farben sogar mischen.
    Man will immer das, was man nicht darf, dachte Jana. Es juckte ihr in den Fingern, ihr Tagebuch unter der Wäsche hervorzuziehen und zu schreiben. Aber dazu würde sie erst später Zeit haben.
    Späterspäterspäter.
    Sie hasste es, immer alles aufschieben zu müssen. Und da war er schon, der Gongschlag, der durch das Haus hallte. Wenn sie sich jetzt nicht beeilte, würde sie wirklich zu spät kommen und alle würden sich nach ihr umdrehen.

    Mara hatte schlecht geschlafen und wirr geträumt. Im Traum war sie durch das Dorf geirrt und dann durch eine kleine Stadt. Obwohl die Sonne geschienen hatte und überall Sand lag wie in einer Wüstenstadt, hatte sie vor Kälte gezittert. Und dann hatte sie bemerkt, warum. Sie war nackt. Und überall standen Männer und starrten sie an.
    In einer verlassenen Scheune fand sie ein Kleid und zog es an. Mitten im Traum wunderte sie sich darüber, dass ein so prächtiges Kleid in einer aufgegebenen, leeren Scheune hing. An einem goldenen Bügel. Es war ein Kleid, wie es die Frauen in alten Romanen auf Bällen trugen, seidig glänzend, weit ausgeschnitten, der Rock in üppige Falten drapiert. In einem staubigen Spiegel hatte sie sich betrachtet, die Arme gehoben und getanzt. Denn plötzlich war auch Musik da gewesen. Und dann, als sie sich gedreht und wieder dem Spiegel zugewandt hatte, war hinter ihrer Schulter La Lunes Gesicht aufgetaucht.
    Da war sie zum ersten Mal wach geworden. Voller Angst war sie aufgeschreckt und hatte sich kaum getraut, wieder einzuschlafen.
    Sie hatte den Traum weitergeträumt. War aus der Scheune gelaufen und in einen Wald gekommen. Schlangen hingen von den Bäumen wie abgeknickte Äste. Sie musste durch einen See schwimmen, um die Welt draußen zu erreichen. Aber das Kleid sog sich mit Wasser voll und zog sie in die Tiefe.
    Wieder war sie entsetzt hochgefahren und wieder hatte sie den Traum weitergeträumt. Sie sank auf den Grund, konnte dort merkwürdigerweise atmen und sich bewegen, als befände sie sich gar nicht unter Wasser. Ein Dschungel, dessen grüne Arme hin und her wogten. Viele Stimmen riefen ihren Namen. Sie waren weit weg, leise, und trotzdem ganz nah.
    »Ich heiße nicht Mara«, beteuerte sie. »Ich habe meinen Namen weggeworfen.«
    Die Stimmen glaubten ihr nicht. Sie glaubte sich selbst nicht.
    Aber La Lune glaubte ihr. Sie erschien in all dem dunklen Grün, ihr Gewand blendend weiß, nur auf den Schultern Algen wie ein Pelz, sah durch Mara hindurch, als wäre sie mit einem Mal unsichtbar geworden, drehte sich um und ging davon.
    Mara war wieder aufgewacht und hatte sich im Bett aufgesetzt, um bloß nicht wieder einzuschlafen.

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