Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)
beispielsweise Charlottes und Simons.
»Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose«, soll sogar ein Lehrer auf seinem Fragebogen vermerkt haben, und man kann sich vorstellen, wie schnell auch ein aufgeweckter Junge namens Kevin den negativen Vorurteilen der Lehrer unterliegt, eventuell dagegen aufbegehrt und am Ende dennoch oder gerade deshalb einen schlechteren Start ins schulische Leben erhält als sein Sitznachbar Jacob. Armer Kevin, er hat sich ja weder seinen Namen noch die dazugehörige Assoziation ausgesucht.
Auch wenn jede Generation ihre Lieblinge und ihre Außenseiter hat – Namen wirken: sowohl auf den Träger als auch auf die Umwelt. »Kein Pferd, das Trübsal heißt, hat je ein Rennen gewonnen«, gibt Hemingway zu bedenken, und sein Kollege, der US-amerikanische Schriftsteller John Steinbeck, weist ebenso auf die Wechselwirkung von Namen, Persönlichkeit und Umwelt hin: »Namen – damit hat es eine sehr geheimnisvolle Bewandtnis. Ich bin mir nie ganz klar darüber geworden, ob der Name sich nach dem Kinde formt, oder ob sich das Kind verändert, um zu dem Namen zu passen.«
Die familiäre Bühne und Geschwisterrollen
» In der Familie bist du eine bestimmte Person. Deine Mutter (meine Mutter ganz besonders) packt eine Halbwahrheit über deinen Charakter auf die
andere, bis sie ein ganzes Gebilde zusammen hat, eine erfundene Person. Es fängt mit den kleinen Dingen an: Du bist unordentlich oder verlässlich, gut mit Zahlen oder du isst zu schnell, du hast Angst vor Fröschen, hältst deinen Stift nicht richtig, und schon werden diese Fäden in den Familienteppich gewoben, eine Art Teppich von Bayeux, der die ganze imaginäre Szenerie auf ewig im Gedächtnis hält. «
JUSTIN CARTWRIGHT , Das Glücksversprechen
Beim Zeitpunkt unserer Geburt, bisweilen schon ein wenig früher, werden uns von unserer Familie bestimmte Rollen und damit verbundene Aufträge zugewiesen. In jeder Familie gibt es ungeschriebene, mitunter unbewusste Gesetze, wie sich Töchter oder Söhne zu verhalten haben. Manchmal ist diese Festschreibung generationenalt, manchmal neu beschlossen, je nachdem, wie es der Familie oder dem Einzelnen zum Vorteil gereicht.
Peter soll das Familienunternehmen übernehmen. Hannes soll gute Laune verbreiten und die Ehe der Eltern kitten. Nina soll Richterin spielen in den Auseinandersetzungen der Eltern.
Peter, Hannes und Nina werden nicht gefragt, sondern ihnen werden ausgesprochene oder unausgesprochene Aufträge übergeben, die sie erfüllen sollen. Diese Aufträge können so stark sein, dass sie ein Leben lang wirken.
Wir alle unterliegen familiären Aufträgen. Befreien können wir uns erst, wenn wir verstehen, welche Aufträge überhaupt an uns gerichtet wurden, und wenn wir uns bewusst entscheiden, diese nicht mehr zu erfüllen.
Neben unserer Persönlichkeit, der Gesellschaft und der Zeit, in der wir aufwachsen, sind familiäre Rollenzuschreibungen maßgebend für unsere Entwicklung und unser Verhalten. Die Geburtenfolge bei Geschwistern nimmt weiteren Einfluss, man spricht in diesem Zusammenhang von Geschwisterrollen. Dem Erstgeborenen wird häufig auferlegt, vernünftig zu sein, die ehrgeizigen elterlichen Erwartungen zu erfüllen und den Geschwistern mit gutem Vorbild voranzugehen. Dem jüngsten Kind wird die Rolle des Nesthäkchens oft regelrecht verschrieben, es darf verspielter sein als alle anderen, hatmehr Freiheiten, wird mehr verwöhnt, soll aber im Gegenzug der gesamten Familie zu mehr Leichtigkeit verhelfen, etwa in der Rolle des Familienclowns. Das mittlere Kind, geprägt durch seine Stellung zwischen den Geschwistern, bekommt dann den Auftrag, zwischen allen Familienmitgliedern zu vermitteln, eine emotionale Balance herzustellen.
Die Ausgestaltung von Geschwisterrollen lässt sich mit solchen Beobachtungen grob skizzieren. Entscheidend ist jedoch das in jeder Familie stattfindende Wechselspiel zwischen der Persönlichkeit des Kindes und den Bedürfnissen der Familie, oder anders gesagt den noch unbesetzten Posten, die wie in einem Kabinett den unterschiedlichen Familienmitgliedern anvertraut werden.
Ein stolzer Vater beschrieb mir vor Kurzem seine Kinder, die als überlebensgroße Fotografien in seinem Büro hängen: »Da oben ist die Älteste, meine Sarah, ein richtiger Schatz. Sie kümmert sich um alle, ist sehr häuslich, hilft ihrer Mutter gerne im Haushalt und geht ganz toll mit ihren Geschwistern um. Sie wird mal eine super Mutter werden. In der Mitte, das ist
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