Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)
außerordentlich attraktiv sein, mit musischen oder schauspielerischen Talenten berühmt werden, mehr schulischen und beruflichen Erfolg als die Eltern haben.
Erwartungen und Aufträge können auch emotionaler Natur sein, wie »Werde nie selbstständig und löse dich nie von uns« oder »Gründe nie eine eigene Familie«, um das Kind auf ewig an die Eltern binden. Die familiären Wünsche können druckvoll vermittelt oder im Verborgenen eingeflüstert werden, sie können alle in eine einzige Richtung weisen oder sich zutiefst widersprechen. So unterschiedlich die Botschaften und die Kanäle, über die diese übertragen werden, auch sein mögen: Sie kommen alle beim Kind an.
Nomen est omen
»Ich heiße Nguyen an Tinh, meine Mutter heißt Nguyen an Tinh. Mein Name ist eine einfache Variation des ihren, nur ein Punkt unter dem i unterscheidet, differenziert, trennt mich von ihr. Ich war ihre Verlängerung, auch in der Bedeutung meines Namens. Ihrer meint ›friedliches Außen‹, meiner ›friedliches Innen‹. Mit diesen fast austauschbaren Namen bestätigte meine Mutter, dass ich ihre Erweiterung war, die Fortsetzung ihrer Geschichte.«
KIM THÚY , Der Klang der Fremde
Wenn wir den allerersten Auftrag verstehen wollen, den unsere Eltern uns mitgegeben haben, müssen wir sie nach der Bedeutung unserer Namenswahl fragen. Romeos Namensgebung entstand aus der Sehnsucht heraus, dass die Liebe seiner Eltern alle Krisen überdauern möge. Jana Mimi verdankt ihren Zweitnamen der lustigen Lieblingstante ihrer Mutter. Bei John-Philip erhofften sich die Eltern, dass er deren Vorliebe für Nordamerika teilen und dort studieren würde, ein Lebenstraum, für dessen Erfüllung die finanziellen Möglichkeiten der Eltern nicht ausreichend waren. Manchmal werden Kinder auch nach Toten benannt. So wie Elisabeth, die 1944 geboren wurde. Ihr Vater benannte sie nach seiner Lieblingsschwester, die eine furchtbare Kindheit und Jugend gehabt und sich mit 20 Jahren erhängt hatte. Elisabeth die Zweite trat in die Fußstapfen ihrer Namensvetterin. Und auch in die ihres eigenen, alkoholkranken Vaters. Aus dem unglücklichen Mädchen wurde eine depressive Frau. Um sich zu betäuben, trank Elisabeth Alkohol. Sie nahm Schlaftabletten zum Einschlafen und Aufputschmittel, um den Tag zu überstehen. Sie war schön, hatte viele Verehrer. Einen davon heiratete sie. Die beiden gaben ein attraktives Paar ab. Sie reisten durch die Welt, bekamen zwei Söhne, nach außen hin schien alles in Ordnung. Im Inneren gab es Streit, Wutausbrüche, Verzweiflung. Den ersten Selbstmordversuch unternahm Elisabeth, als sie Anfang 30 war, der Versuch, sich zu erhängen, missglückte. Zehn Jahre später fand ihr jüngster Sohn Paul seine Mutter tot auf. Elisabeth hatte sich mit einer Überdosis Tabletten das Leben genommen. Elisabeths Namensgebung stand unter keinem guten Stern. Es ist zu vermuten, dass Elisabeths Vater sich gewünscht hatte, ein Teil seiner geliebten Schwester möge in seiner Tochter auferstehen. Wünsche sind unkontrollierbar, und manchmal werden sie wahr.
Knapp 20 Jahre nach Elisabeths Tod erschrickt ein junger Mann bei einer gynäkologischen Kontrolluntersuchung seiner schwangeren Frau. Der werdende Vater ist Elisabeths Sohn Paul, der erfährt, dass der Stichtag der Geburt seiner Tochter mit dem Todesdatum seiner Mutter zusammenfallen soll. Das kleine Mädchen entscheidet sich jedoch, eine Woche später auf die Welt zu kommen, und erhält einen ganz eigenen Namen, den niemand zuvor in der Familie getragen hat.
Die meisten Eltern geben sich viel Mühe, den Vornamen ihres Kindes auszuwählen, oft wird er bis zur Geburt geheim gehalten, damit niemand ungebeten seine Meinung dazu äußert, ihn ausplaudert oder gar »stiehlt«. Namen sind wichtig, sie gehören ab dem ersten Tag unseres Lebens zu uns wie unser Geschlecht, unsere Augenfarbe oder unsere Persönlichkeit. Sie sind mehr als Schall und Rauch, sie spenden Individualität und Identität – sowohl in der Familie als auch außerhalb. Ein Vorname weckt Assoziationen und Erinnerungen. Menschen werden von ihrer Umwelt hinsichtlich ihres Vornamens bewertet, Attraktivität, Intelligenz und Erfolg werden ihnen allein ihres Namens wegen zugeschrieben oder eben auch abgesprochen. Wer heute in deutschen Grundschulen Kevin oder Chantal heißt, hat schlechte Karten. Laut einer aktuellen Studie schätzen Grundschullehrer diese Namensträger als leistungsschwächer und verhaltensauffälliger ein als
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