Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)
unsere Eltern wollen, ist Gesetz. Sie wissen, was das Richtige für uns ist. Sie kennen uns besser als wir uns selbst. Sie haben ein Bild von uns, das sich manchmal verwirklicht und manchmal in 1000 Stücke bricht, nämlich dann, wenn wir gegen das Vorgegebene aufbegehren oder ihm nicht entsprechen. Es ist der Lauf der Dinge, Zeichen einer gesunden Entwicklung, dass wir uns ablösen von den Eltern und uns aufmachen, uns selbst zu finden. Aber – wer sind wir, wer sind Sie, wer bin ich wirklich ? Und inwieweit sind wir etwas Eigenes oder doch nur das Produkt unserer Eltern und unserer Vorfahren?
Um dies herauszufinden, ist es sehr hilfreich, die Kapitel der Familiengeschichte zu kennen, die vor unserer Zeit geschrieben wurden. Die Chaostheorie besagt, dass ein Flügelschlag eines Schmetterlings in Schanghai einen Wirbelsturm in New York auslösen könnte. Ist es dann nicht wahrscheinlich, dass die Herkunft Ihres Großvaters, der Lebensweg Ihrer Großmutter, die Sehnsüchte Ihrer Mutter, die Überzeugungen Ihres Vaters und all die Träume und Vorgaben, die Ihnen von Ihrer Familie mit auf den Weg gegeben worden sind, Ihr Leben beeinflussen?
Auf unserer Reise durchs Leben tragen wir familiäre Erwartungen, Wünsche, Aufträge und Botschaften oft wie sperriges Gepäck mit uns herum. Mitunter ist der Inhalt dieser Gepäckstücke denkbar unpassend, so als würde man in hochhackigen Schuhen und Abendkleid eine Segeltour durchs Nordmeer machen oder mit Malariaprophylaxe und Moskitonetz in die Alpen reisen.
Noch schwieriger wird es, wenn wir neben dem Wünschepaket unserer Eltern auch noch das emotionale Gepäck unserer Vorfahren tragen. Oft wird diese familiäre Last erst deutlich, wenn wir drohen, unter deren Gewicht zusammenzubrechen. Wenn schmerzliche und ungelöste Lebensthemen der Ahnen massiv im eigenen Leben auftauchen und uns belasten: Opas Existenzängste, Omas Verluste und Papas Versagensängste werden genauso transportiert wie Mamas tiefe Selbstzweifel oder ihr Hang zur Melancholie. Besonders stark wirken traumatische Erlebnisse, die nicht verarbeitet wurden und trotzdem im Familiengedächtnis gespeichert sind. Diese emotionale Lastenverschiebung kann über mehrere Generationen hinweg wirken. Egal, wie gravierend die unverarbeiteten Themen sind, jede Familie gibt ein individuell geschnürtes Päckchen weiter, unter dessen Last die Nachkommen unterschiedlich stark leiden.
Auch wenn viele Menschen ahnen, dass akute Schwierigkeiten und Krisen irgendwie auf ihre Kindheit und ihre Familie zurückzuführen sind, fehlt oft das konkrete Wissen, wie alles zusammenhängt und wirkt. Aus diesem Grund sollen in diesem Buch vor allem die familiären Mitgiften betrachtet werden, die Leid mit sich bringen: unerfüllbare familiäre Erwartungen, unbewusste starke Loyalitäten und uralte emotionale Lasten.
»Keine Familie kann das Schild heraushängen: ›Hier ist alles in Ordnung‹«, besagt ein chinesisches Sprichwort, aber das heißt noch lange nicht, dass es nur schädliche Weitergaben oder belastendes familiäres Erbe gibt: Wie schön ist es, eigene Züge in den Generationen vor und auch nach uns zu entdecken: das gleiche ausgelassene Lachen und die fröhliche Unbekümmertheit der Mutter, die stolze Haltung der Großmutter, das musikalische Talent des Vaters und des Großvaters charmante Überzeugungskraft. Die Ähnlichkeiten mit Familienmitgliedern, deren Lebenswegen und Haltungen lassen uns Teil einer Gemeinschaft sein, der intimen Gemeinschaft Familie. Diese Zugehörigkeit gibt uns Schutz und das Gefühl, in dieser Welt verankert zu sein. Und so bieten die Einbettung in eine Familie und das Wissen um das jeweilige emotionale Erbe wichtige Bedingungen für die Entwicklung der eigenen Identität.
Jede Familie hat ihre positiven und stärkenden, aber auch ihre dunklen Seiten, ihre Geheimnisse, ihre Verletzungen. Das jeweilige emotionale Erbe zieht sich wie ein roter Faden durch die Generationen. Das Gute und das Schlechte – es bleibt alles in der Familie.
Teil 2
»Deine Kinder sind nicht deine Kinder. Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst. Sie kommen durch dich, aber nicht von dir, und obwohl sie bei dir sind, gehören sie dir nicht. Du kannst ihnen deine Liebe geben, aber nicht deine Gedanken; denn sie haben ihre eigenen Gedanken. Du kannst ihrem Körper ein Haus geben, aber nicht ihrer Seele; denn ihre Seele wohnt im Haus von morgen, das du nicht besuchen kannst – nicht einmal
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