Das Blut der Rhu'u (German Edition)
schwarzen Messe, von der sie vorhin wieder geträumt hatte, oder damit, dass ein paar Männer sie in eine Höhle jagten und ihr bei lebendigem Leib das Herz aus dem Körper schneiden wollten. Zum Glück wachte sie immer auf, bevor der erste Dolch in ihren Körper eindrang. Die Todesangst aus dem Traum hielt jedoch im Wachzustand immer noch eine Zeit lang an.
Sie verscheuchte die düsteren Gedanken, flocht ihr feuchtes Haar zu einem Zopf, krabbelte wieder ins Bett, umarmte die Bettrolle und wünschte sich, nicht allein zu sein. Vielleicht sollte sie Urlaub machen. Oder einen Arzt aufsuchen und sich ein Schlafmittel verschreiben lassen. Oder sich eine Katze anschaffen. Am besten zwei.
Während sie langsam wieder in den Schlaf hinüberglitt, hatte sie das Gefühl, aus weiter Ferne wie von einem Magneten angezogen zu werden. Glaubte sie, eine Stimme zu hören, die nach ihr rief. Aber das war wohl nur eine aus ihrer Übermüdung resultierende Halluzination.
*
»Sie sehen gar nicht gut aus, Kara.«
Dr. Mortimer, der sechzigjährige Kurator des National Museum of Scotland, blickte sie über den Rand seiner silbergefassten Brille besorgt an, als Kara sich zum fünften Mal in nur einer Stunde ihren Kaffeebecher randvoll nachfüllte und zum unzähligsten Mal ein Gähnen unterdrückte. Sie fand, dass Mortimer ihr schmeichelte, denn ihr Spiegelbild hatte ihr heute Morgen gezeigt, dass sie furchtbar aussah; wie ein Junkie auf Entzug.
Die Albträume hatten ihr letzte Nacht keine Ruhe gegönnt. Kaum war sie wieder eingeschlafen, war sie hochgeschreckt, weil sie eine Berührung gespürt hatte, eine Hand, die sie streichelte, ihr Haar zurückstrich und ihr Nachthemd über die Schulter nach unten schob. Als sie schreiend und um sich schlagend hochgefahren war, befand sich natürlich niemand in ihrem Schlafzimmer. Aber ihr Nachthemd war aufgeknöpft und hing genau dort, wo sie gespürt hatte, dass die Hand es hingeschoben hatte.
Sie hatte mit einem Brotmesser in der Hand ihre Wohnung durchsucht, nur um festzustellen, dass sie allein war. Dennoch hatte sie den Rest der Nacht hellwach verbracht. Darauf hatte der Wecker nicht die geringste Rücksicht genommen. Er klingelte wie gewohnt um sieben Uhr. Mit dem vorhersehbaren Ergebnis, dass sie unausgeschlafen war und Mühe hatte, sich zu konzentrieren. Und obendrein wäre sie auch noch beinahe zu spät zur Arbeit gekommen.
»Ich habe nur schlecht geschlafen, Sir.«
Mortimer verzog das Gesicht. »Sie sollen doch nicht immer ›Sir‹ zu mir sagen, Kara. Da komme ich mir jedes Mal vor wie ein Drill Sergeant.«
Sie lächelte. »Und wenn ich Sie James nenne, komme ich mir so respektlos vor. Sie sind immerhin mein Boss.«
Mortimer hatte sie unter seine Fittiche genommen, seit sie nach dem Studium vor fünf Jahren als Ethnologin im Museum angefangen hatte. Sie arbeitete in der Abteilung des Scottish Life Archives, in dem neben dem Sammeln von alten Fotos, Bildern, Tagebüchern, sonstigen Schriftstücken und Landkarten, die die schottische Geschichte dokumentierten, auch Forschungen über lokale Bräuche betrieben wurden. Das kam ihr sehr gelegen, denn sie wollte promovieren und hatte sich dafür das Thema »Schottische Volksbräuche und Aberglauben aus vorchristlicher Zeit bis ins 21. Jahrhundert« ausgesucht. Das Thema war spannend und arbeitsintensiv genug, um sie von dem Gedanken an Ben oder andere Männer abzulenken. Wenn sie danach zu Bett ging, war sie meistens müde genug, um sofort einzuschlafen.
Mortimer lächelte. »Wenn die Ursache für die Schlaflosigkeit ein netter Mann ist, hat die definitiv ihre Berechtigung.« Er zwinkerte verschwörerisch.
Kara schüttelte den Kopf. »Leider nicht.«
»Dann arbeiten Sie entschieden zu viel.« Er klopfte ihr auf die Schulter. »Darüber wollte ich ohnehin mit Ihnen sprechen. Ich habe nichts dagegen, wenn Sie einen Teil Ihrer Recherchen für Ihre Dissertation während der Arbeitszeit erledigen. Sie sitzen hier doch an der Quelle und müssen nicht noch nach der Arbeit hierbleiben oder die Arbeit mit nach Hause nehmen. Auf diese Weise haben Sie abends etwas mehr Zeit für sich.«
Mehr Zeit für sich war das Letzte, was sie wollte. Diese Zeit hätte unweigerlich zum Grübeln über die Trennung von Ben und seine Vorwürfe über ihre mangelnden Qualitäten als Liebhaberin geführt. Sie fühlte sich auch ohne die Erinnerung an diese Verletzung schlecht genug. »Danke, Sir. Das ist ein sehr großzügiges Angebot, aber ...«
»Kein
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