Das Blut Des Daemons
Getuschel und hämischen oder mitleidigen Bemerkungen ins nächste Mädchen-Klo.
Die Hände um den Rand eines der weißen Waschbecken geklammert versuchte ich das Zittern irgendwie zu beherrschen. Meine Finger waren eiskalt. Ich konnte sie kaum spüren. Ein Mädchen ging hinter mir vorbei, ich begegnete seinem Blick im Spiegel vor mir. Sie schaute hastig weg, gleich darauf schloss sich eine der Toilettentüren, der Riegel schabte. Ich starrte weiter in den Spiegel. An seinem Rand waren winzige dunkle Flecken. Eine der Ecken war abgesplittert. Mein Spiegelbild starrte zurück. Von Anfang an hatte ich nicht verstanden, was Julien an mir fand, warum er mich für schön und bezaubernd hielt, aber jetzt … Ich hatte dunkle Ringe unter den Augen, die mir inzwischen nur noch in einem undefinierbaren, stumpfen Braun entgegensahen. Meine Haare waren glanzlos und strähnig, ich konnte waschen, Spülungen machen und Kuren draufpacken, so viel ich wollte, nichts davon wirkte. Vielleicht sollte ich froh sein, dass es mir noch nicht büschelweise ausfiel. Beinah unbewusst hobich eine Hand, drehte sie vor meinem Gesicht, berührte es, fuhr mir über die rissigen Lippen. Meine Haut war blass – fast so blass wie Juliens –, bitter verzog ich den Mund. Was hätte ich darum gegeben, wenn sie es aus demselben Grund gewesen wäre! Aber offenbar würde es den Wechsel für mich nun endgültig nicht mehr geben, so schwer es mir auch fiel, diese Hoffnung aufgeben zu müssen. Unter der Haut konnte man die Adern erkennen. Und ich glaubte sogar zu sehen, wie das Blut darin pulste. Ich ließ die Hand fallen, schloss die Augen, krallte die Finger wieder um den Waschbeckenrand. – Ich sah aus wie etwas, das aus einem Bestattungsinstitut davongelaufen war.
Aus der Toilettenkabine, in die das Mädchen zuvor verschwunden war, wehte Zigarettenqualm.
»Dawn?«
Erschrocken keuchend fuhr ich herum. Prompt wurde mir schwindlig. Wie häufiger in letzter Zeit, wenn ich mich zu hastig bewegte. Erneut klammerte ich mich am Waschbeckenrand fest, führte die Bewegung sehr viel langsamer zu Ende. Beth stand hinter mir, wie stets von Kopf bis Fuß in Schwarz. Auch wenn ihr Look heute mit Rüschenbluse, Jeans und Schnürstiefeln geradezu normal wirkte im Vergleich zu dem, was sie sonst trug. Ihr Haar war zu zwei Zöpfen geflochten, die ihr Gesicht umrahmten. Vielleicht sollte ich mich zukünftig auch im Goth-Style schminken? Möglich, dass die Ringe unter meinen Augen dann wie gewollt aussahen.
»Bist du okay?« Sie musterte mich besorgt. Sosehr ich Beth mochte, mit ihrem Gluckengetue ging sie mir inzwischen auf die Nerven. Ebenso wie Julien. Ich starb, in Ordnung. War nicht mehr zu ändern. Aber mussten sie so ein Drama daraus machen? Ich grub mir die Zähne in die Lippe, um es nicht laut zu sagen. Wie oft in den letzten Tagen hatte ich Julien angefahren, wenn er mir nur die Hand reichte, um mir ausdem Auto zu helfen, oder blitzschnell meinen Ellbogen packte, wenn ich unversehens wankte? Ich wusste es nicht mehr. Jedes Mal glaubte ich zu sehen, was er sonst so sorgfältig vor mir verbarg; was dann aber für einen Sekundenbruchteil in seinen Augen stand: Schmerz. Und jedes Mal schrie etwas in mir: Verzeih mir! Aber ich brachte die Worte nie laut über die Lippen. – Ich hatte Angst. Todes-Angst. Und in dieser Angst war ich gereizt und ungerecht, biss um mich wie ein Tier in der Falle. Ich wusste es. Und Julien war derjenige, der alles abbekam. Wie lange seine Geduld noch reichen mochte, ehe auch er einmal ausrastete – oder vielleicht sogar etwas Dummes tat, um seinen Frust nicht an mir auszulassen –, darüber versuchte ich gar nicht erst zu spekulieren. Beth wollte ich das nicht auch noch antun.
Ich atmete tief durch und versuchte es mit einem Lächeln. »Alles okay. Mir war nur ein bisschen schwindlig.«
Beth maß mich erneut mit einem Blick, der zugleich besorgt und unwillig war. »Kein Wunder, du hast heute Mittag ja auch keinen Bissen angerührt.« Ihre Augen wurden schmal. »Lass mich raten: Gefrühstückt hast du auch nichts, oder?« Sie schnaubte und wühlte in ihrer Tasche herum. »Wenn Julien hier in der Schule nichts isst, weil er gegen alles Mögliche allergisch ist, musst du das nicht auch tun.« Sie wühlte tiefer.
Dass Julien wegen einer endlosen Latte an Nahrungsmittelallergien nur ganz bestimmte Dinge zu sich nehmen durfte, war die Begründung dafür, dass er sich nur sehr selten in der Schul-Cafeteria sehen ließ und dort
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