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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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getrunken. Eine kleine Benommenheit verführte sie dazu, den Kopf zu neigen und die Lockenfluten schleierartig vor ihr Gesicht hinabstürzen zu lassen, dann, wie aus einem Gebüsch aus der Haarfülle hervorzusehen, einen langen Blick in meine Augen zu versenken und »Äächt?« zu sagen, aber das hieß bei ihr nicht, was es sonst heißt: »Ziemlich unwahrscheinlich, was du sagst, und sollte es stimmen, geht’s mich nichts an«, sondern war, so empfand ich es, wirklich eine Frage nach meiner Aufrichtigkeit, und ebenso war ihr fragendes »Okay?« in dem mir sonst verhaßten investigativen Tonfall – »Was du bis jetzt gesagt hast, lassen wir mal stehen – sprich weiter, mal sehen, was noch kommt« – von unschuldiger Neugier, die sich hinter der öden Floskel nicht versteckte, sondern mich auch im Gewand des »Okay?« bezauberte. Wie ja überhaupt, so entschied ich, die Kritisiererei an der Sprache der anderen ein Ende haben mußte. Als Schopenhauer und Kraus sich über die Sprachverschluderung erregten, da hatten sie ein Publikum, das verstand, was sie sagten. Aber das war eine abgeschlossene historische Epoche. Jetzt verständigte man sich irgendwie. Ich durfte froh sein, daß die Verständigung gelang und daß ich mit dieser großen schönen Frau in einer gemeinsamen Sprache sprechen durfte.
    Wie sie war, war ihre Sprache: verheißungsvoll, sanft, zärtlich, wer wünschte sich eine schönere? Wir begannen früh, uns zu küssen, und sprachen zwischen den langen feuchten Pausen weiter, als sei da nichts Entscheidendes geschehen. Wir lebten im Land eines freundlichen Überflusses, wo die Küsse den Menschen geschenkt wurden wie die Atemluft. Treibholz, das sich am Bachrand verfangen hat, löst sich dann unversehens wieder und schwimmt weiter, und ebenso zufällig kamen auch wir von dem Terrassengeländer los, während, noch im Dunkeln, die Vögel in den Baumkronen erwachten und zunächst schüchtern und vereinzelt piepsten, um alsbald zu einem Chorus anzuschwellen, den verkommenen, geröteten, verschwollenen Feiergesichtern die Nähe eines Morgens zu verkünden, der reinliche Frische atmete. Es lag keine Absichtlichkeit in unserem engumschlungenen Durch-die-Wohnung-Wandern, aber hätten wir ein stilles Plätzchen gesucht, gefunden hätten wir es nicht, sogar in Doktor Glücks Schlafzimmer, auf seinem überbreiten Bett, bewegte sich ein Menschenhaufen, halb entblößte Körper, nicht das Tier mit den zwei Rücken, sondern eines mit mindestens acht Beinen.
    In einem Sessel lag Rotzoff und schlief, von dem Treiben um ihn herum nichts mehr wahrnehmend. Ich erkannte ihn an seiner Smokingjacke zum über der Brust geöffneten weißen Hemd und Jeans, sein Gesicht war im Schlaf auseinandergelaufen bis zur Unkenntlichkeit, ein Geköpfter hätte sich nicht unähnlicher sein können. Nahm Reni ihn wahr? Dann ließ sie sich nichts anmerken. Ich lenkte sie aber, bevor das Wiedererkennen unvermeidlich war, aus dem Zimmer wieder hinaus, dies Engumschlungen-Herumtappen war nebenbei gar nicht so einfach, Reni war ein bißchen größer als ich, Hüften und Schultern lagen nicht auf derselben Höhe. Alkoholiker-Lebensweisheiten wanderten durch meinen Kopf, während wir uns die Treppe Stufe für Stufe schon beinahe torkelnd hinabfallen ließen: Jeder nimmt, was er bekommt; jeder bekommt, was er gibt; man muß sich mit dem Zweitbesten abfinden lernen – hatte Rotzoffs Anblick mich in diese Gedankentiefen gestoßen?
    Tropische Strände, an denen unter Palmen arme Leute in Hütten wie Spatzennester hausen, sind oft mit Schmutz bedeckt. Der goldene Sand, das ultramarin leuchtende Meer, die wogenden, vom Wind gebeugten Palmwipfel, die reine Himmelsschale sind umgeben von weithin ausgestreutem menschlichem Müll; man hat sich daran gewöhnt, die Abfalltüten an den Strand zu stellen und sie von der Flut davontragen zu lassen, aber das geschieht nie vollständig, weil die vorwärtsdrängenden Wellen den Inhalt der Tüten zunächst überall verteilen. So liegen denn ausgequetschte Salbentuben, Schuhe, Obstschalen, Glasscherben, Dosendeckel, vom Salz ausgelaugter Kunststoff, in Hellgelb und Türkis, Hühner- und Schweineknochen unter den rosigglühenden Strahlen der aufgehenden Sonne, die als Prachterscheinen aus dem Wasser steigt und für eine halbe Stunde alles überglänzt, was sie ins Licht hebt; der Abfall wird zu dunklem Gekrümel, er schrumpft unter der Sonne, der Schraubverschluß der Colaflasche wird zur Muschelschale. Alle

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