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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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war das noch weniger festzustellen, hier wurde vor allem getanzt, wenngleich für Freistil-Tänze wenig Platz war. Das war eher die rhythmische Erschütterung eines stark verdichteten Menschenteigs. Eine Weile war es im großen Salon und in der anschließenden Bibliothek, als sei aus diesem Menschenkuchen kein einzelner herauszulösen. Hier mußte Ivana sich hindurchkämpfen wie durch eine verzweifelte Passagierballung auf einem sinkenden Schiff. Jede Vorstellung, es sei möglich, bei diesem Fest eine auch noch so angedeutete Aufsichts- und Lenkungsfunktion auszuüben, war in ihrer Hinfälligkeit längst offensichtlich. Dies Fest würde sich austoben müssen. Niemand hatte es mehr in der Hand, vor allem als im Garten die ersten Tropfen fielen und eine Wanderung auf die überdachte Terrasse und in die Wohnung einsetzte.
    »Warum nehmen sie den Lastwagen?« dachte Ivana, »warum nehmen sie nicht den Leiterwagen und den Traktor?«
    Der Traktor war langsam, aber der Weg den Berg hinauf war steil, und weiter oben teilte ein Gebirgsbach den Weg. Unversehens blieb, während ihre Gedanken sie ganz gefangennahmen, ein Bild an ihr hängen, das aus ihrer gegenwärtigen Umgebung stammte, vielleicht weil es einen Menschen zeigte, der ebenso einsam war wie sie, wenngleich wahrlich aus anderen Gründen. Maruscha stand hochaufgerichtet am Terrassengeländer und schaute in die letzten zischenden Fackelflammen, die dem einsetzenden Regen noch trotzten, der jetzt sanft und eigensinnig auf die Blätter tropfte. Sie rauchte eine Zigarette, was sie sonst niemals tat, sah so frisch und unbeeinträchtigt aus wie am Anfang des Abends, schien aber in Gedanken von tiefem Ernst versunken. Ihre Lippen bewegten sich, als ob sie spreche. Was immer es um sie herum für Tumulte gegeben hatte – sie hatte sie hinter sich gelassen. Aber dann tat sie etwas, das Ivana einen Augenblick aus ihren eigenen übermäßigen Sorgen auftauchen ließ: Sie legte sich die schöne Hand auf die linke Brust, auf das Herz, als müsse sie es festhalten oder vor einem Stoß bewahren, oder als wachse es bedrängend und sie versuche es zurückzudrücken.
    Ivana wurde kurz darauf roh aus ihrer Abwesenheit gerissen. Eine neue Phase des Festes wurde durch einen einzelnen jungen Mann in zerschlissenen Jeans eingeleitet, der sich, sehr bleich, mit ungewaschenem in die Stirn fallendem Haar, durch die Gäste zu ihr in die Küche vordrängte, in der sie eben gerade ganz kurz völlig allein war. Er trat auf sie zu; sie sah, ohne sofort ihren Augen zu trauen, daß er ein Messer in der Hand hielt, das deutlich zitterte. Mit scharfer heller Stimme, die zu kippen drohte, forderte er von ihr, was sie nicht gleich verstand: Zucker, sofort Zucker. Die Küche war mit Weinkisten zugestellt, aber sie wußte, wo Doktor Glücks Zuckerdose stand, aus dunkel angelaufenem englischen Silber. Daß Ivana versäumt hatte, sie zu putzen, rettete die Dose jetzt möglicherweise für den Glückschen Haushalt. Der Junge schüttete sich den Inhalt in die Tasche seiner Lederjacke, sah Ivana an, als habe er ihre Gegenwart schon vergessen, und stürzte aus der Tür. Jetzt erst wurden ihr die Knie weich. Es gab keinen Stuhl, auf den sie hätte hinsinken können. Sie lehnte an der Wand und rutschte in die Hocke. Als zwei Kellner hereinkamen, fand sie nicht einmal die Kraft, von dem Auftritt eben zu erzählen.
    Die beiden Kellner waren auch mit anderem beschäftigt. Viele der eingeladenen Gäste hatten das Fest inzwischen verlassen, es war deutlich nach Mitternacht. Zugleich war eine Horde junger Leute durch das geöffnete Tor in den Garten gelangt. Es regnete nicht mehr stark, und dort unten stand ein großes, von Bedienung verlassenes Büfett mit vielen geöffneten Flaschen. In den Gläsern hatte sich ein bißchen Regenwasser gesammelt. Die Kellner berieten: War es an ihnen, diese Eindringlinge abzuwehren und aus dem Haus zu werfen? Wer sollte das entscheiden? Wer befahl hier überhaupt? Gab es einen Hausherrn? Merzinger war verschwunden, denn er hatte sein Restaurant, anders als verabredet, an diesem Abend nicht geschlossen – »Ich könnt’s mir gar nicht leisten« – und wollte dort nach dem Rechten sehen.
    Das Jugendvolk war bald überall, es sickerte schnell auch in die Wohnung ein und betrug sich dort höchst unbefangen. Eben noch hatte der Salon sich von Tänzern geleert, jetzt war er wieder voll, seine neue Besetzung homogener als die alte, ein nicht unfreundlicher, wahrscheinlich aus

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