Das Bourne-Vermächtnis
aufstehen und für immer verschwinden. Aber er wollte ihnen etwas Wahres berichten.
Schließlich sah er auf.
»Als ich Spalko allein gegenüberstand, hätte ich fast versagt. Spalko hätte mich beinahe erledigt, aber die Wahrheit ist … die Wahrheit ist …«
»Heraus mit der Sprache, dann ist Ihnen wohler«,
drängte der Russe.
Bourne setzte sein Glas an, trank einen Schluck von dem flüssigen Mut und wandte sich seinem Sohn zu.
»Ich habe an dich gedacht. Ich habe mir gesagt, dass ich nicht zurückkommen werde, wenn ich versage, wenn ich zulasse, dass Spalko mich umlegt. Aber ich wollte dich nicht verlassen; ich durfte dich nicht im Stich lassen.«
»Sehr gut!« Karpow knallte sein Glas auf die Tischplatte. Er deutete auf Chan. »Jetzt Sie, mein junger Freund.«
In der nun folgenden Stille hatte Bourne das Gefühl, sein Herz könnte jeden Augenblick stillstehen. Sein Puls pochte in den Schläfen, und die vorübergehend betäubten Schmerzen von seinen vielen Wunden kehrten zurück.
»Nun«, fragte Karpow, »hat’s Ihnen die Sprache verschlagen? Ihre Freunde haben sich freimütig erklärt und warten jetzt auf ein Wort von Ihnen.«
Chan sah dem Russen ins Gesicht. »Boris Iljitsch Karpow, ich möchte mich Ihnen offiziell vorstellen. Ich hei
ße Joshua und bin Jason Bournes Sohn.«
Mehrere Stunden und zwei Flaschen Wodka später standen Bourne und Chan im Keller des Hotels Oskjuhlid.
Dort unten war es moderig kühl, aber sie rochen nur Wodkadunst. Überall waren noch Blutflecken zu sehen.
»Du fragst dich vermutlich, was mit dem NX 20 passiert ist«, sagte Chan.
Bourne nickte. »Hull war misstrauisch wegen der
Schutzanzüge. Er hat gesagt, sie hätten keine Spur von biologischen oder chemischen Waffen gefunden.«
»Ich habe den Diffusor versteckt«, sagte Chan. »Ich habe auf deine Rückkehr gewartet, damit wir ihn gemeinsam vernichten können.«
Bourne zögerte kurz. »Du hast darauf vertraut, dass ich zurückkommen werde.«
Chan wandte sich seinem Vater zu. »Ich scheine neues Vertrauen gewonnen zu haben.«
»Oder altes Vertrauen wieder gewonnen.«
»Erzähl mir nicht, was …«
»Ich weiß, ich weiß, es steht mir nicht zu, dir zu sagen, was du denken sollst.« Bourne nickte besänftigend.
»Manche Einsichten dauern eben etwas länger.«
Chan führte ihn zu der Stelle, wo er den NX 20 in einem Hohlraum über den riesigen Fernwärmerohren versteckt hatte. »Um das zu tun, musste ich Sina einen Augenblick allein lassen«, berichtete er, »aber das ließ sich nicht ändern.« Er behandelte den Diffusor mit verständlichem Respekt, als er ihn Bourne übergab. Dann zog er noch einen kleinen Metallbehälter aus dem Hohlraum.
»Die Phiole mit der er geladen war, ist hier drin.«
»Wir brauchen ein starkes Feuer«, sagte Bourne, der an die Warnung auf Dr. Sidos Bildschirm dachte. »Hitze tötet die Viren ab.«
Die riesige Hotelküche war fleckenlos sauber. Ohne das emsige Treiben des Küchenpersonals wirkten die glänzenden Oberflächen aus Edelstahl noch kälter. Bourne hatte die Notbesatzung vorübergehend hinausgeschickt, bevor er mit Chan an einen der riesigen Backöfen trat. Er wurde mit Gas befeuert, das Bourne ganz aufdrehte. Sofort schossen hohe Flammen in die Flammrohre des mit Schamottsteinen ausgemauerten Ofens. Nach wenigen Minuten war er so heiß, dass man sich ihm kaum nähern konnte.
Sie trugen ABC-Schutzanzüge, als sie den Diffusor zerlegten. Dann warf jeder von ihnen eine Hälfte in die Flammen, und die Phiole folgte.
»Wie ein Scheiterhaufen für einen toten Wikinger«, sagte Bourne, als sie zusahen, wie der NX 20 zusammenschmolz. Er schloss die Ofentür, und sie zogen die Schutzanzüge aus.
Er wandte sich an seinen Sohn: »Ich habe mit Marie telefoniert, ihr aber noch nichts von dir erzählt. Ich wollte abwarten, bis …«
»Ich komme nicht mit«, sagte Chan.
Bourne wählte seine nächsten Worte sehr sorgfältig.
»Das wäre nicht mein Wunsch.«
»Ich weiß«, bestätigte Chan. »Aber ich denke, du hattest sehr gute Gründe, deiner Frau nichts von mir zu erzählen.«
In der Stille, die sie plötzlich umgab, wurde Bourne von schrecklichem Kummer erfasst. Er wollte wegsehen, um zu verbergen, was auf seinem Gesicht stand, aber er konnte sich nicht abwenden. Er wollte seine Gefühle nicht mehr vor seinem Sohn und sich selbst verbergen.
»Du hast Marie und zwei kleine Kinder«, sagte Chan.
»Das ist das neue Leben, das David Webb sich geschaffen hat, und ich gehöre
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