Nina, so gefällst Du mir
Ninas erster Ball
Nina steckte die Arme vorsichtig in ein Gewoge von weißer Spitze. Mamas behutsame Hände halfen ihr, das Kleid über den Kopf zu ziehen, ohne daß die Frisur zerzaust wurde. Dann wurde der schmale, kaum sichtbare Reißverschluß im Rücken zugezogen, und nun betrachtete sich Nina im Spiegel, während Mama ihr die Perlenkette um den Hals legte und die kleine blitzende Nadel an der linken Schulter feststeckte.
Die Perlen waren nicht echt, und die Nadel war es auch nicht. Aber was machte das? Welches schlichte siebzehnjährige Mädchen besitzt schon echten Schmuck? Die hellen, schimmernden Locken waren echt, und die strahlende Röte auf ihren Wangen war echt – und die unbändige Freude, die ihr Herz erfüllte, war goldecht.
Die Blicke von Mutter und Tochter trafen sich im Spiegel. Sie lächelten beide. „Na, Ninachen, bist du zufrieden?“
„Und ob, Mamilein! Das Kleid ist einfach ein Traum. Ich glaube, ich laufe schnell mal zu Papa hinein und gebe ihm einen Extrakuß dafür!“
Nina schlüpfte in die silbernen Sandalen und warf noch einen Blick in den Spiegel, und ihr Herz klopfte, wie ein Mädchenherz nur einmal im Leben klopft: vor dem ersten Ball. Dann schlang sie schnell die Arme um den Hals der Mutter – vorsichtig, um die Pracht nicht zu zerdrücken – und ging zu ihrem Vater ins Wohnzimmer. Er blickte auf, als sie hereinkam, lächelte und drehte das Radio ab.
„Na, meine kleine Ballkönigin, da haben wir dich ja in voller Kriegsbemalung. Zufrieden?“
„Ach, Vati, ich freue mich so schrecklich – und tausend, tausend Dank für das wunderhübsche Kleid! Du bist einfach großartig, Paps!“
„Der Preis war auch großartig“, brummelte Herr Löge vor sich hin. Aber das Brummein wirkte nicht annähernd so überzeugend wie der unverkennbare Vaterstolz in seinem Blick. Tatsächlich, das Mädel sah hinreißend aus.
Als die Einladung zu einem Ball bei Fabrikant Espetun kam und Nina sogleich anfing, von einem neuen Kleid zu phantasieren, da hatte Prokurist Löge kräftiger gebrummt und auch echter. Aber seine Frau hatte in ihrer sicheren, freundlichen und ach so überzeugenden Art das Wort ergriffen:
„Du hast ganz recht, Martin, so ein Ballkleid ist irrsinnig teuer, aber vergiß eines nicht: Vielleicht ist dies der einzige Ball in Ninas Leben. Jedenfalls ist es ihr erster! Die heutige Zeit ist nicht für Bälle. Eigentlich war es schon in unserer Jugend so, daß wir sie überholt fanden. Erinnerst du dich? Heute haben die Leute kleine Wohnungen und müssen sparen. Was junge Menschen heutzutage an Geselligkeit kennen, das sind kleine Tanzereien und Zusammenkünfte, bei denen jeder etwas zur Bewirtung beisteuert. Ein Ball ist ein ganz großesund seltenes Ereignis. Laß uns doch das Unsere dazu tun, daß dieser Ball Nina in leuchtender Erinnerung bleibt. Genehmige ihr das Kleid, auch wenn es teuer ist. Wir sparen es an einer anderen Stelle wieder ein, dann haben wir es bald verschmerzt. Du hast doch eine tüchtige Frau, das weißt du, nicht wahr, Martin?“
„Ja, das weiß der liebe Himmel!“ murmelte Martin Löge. Aber dann lächelte er gutmütig. „Na schön. Wenn zwei Weibsleute sich zusammenrotten, dann nützt einem armen machtlosen Mann aller Widerspruch nichts. Lauft los und kauft das Kleid, aber vergeßt nicht: Es muß noch so viel auf dem Bankbuch stehen bleiben, daß es für Steuern und die Versicherung langt.“
„Und für Haushaltsgeld und Miete und Schuhsohlen“, lachte Frau Löge. „Wir werden es schon regeln, mein Lieber!“
Und jetzt, da die Tochter, sein einziges Kind, vor ihm stand, jung und gertenschlank und biegsam, mit funkelnden Augen, mit freudig leuchtendem Blick, mit einer schimmernden Röte auf den Wangen – ja, da fand Martin Löge plötzlich, daß er sein Geld nie vernünftiger ausgegeben habe.
Sie wird das hübscheste Mädchen auf dem Ball sein, dachte er, und sein Herz weitete sich ordentlich vor väterlichem Stolz. Aber laut sagte er nur: „Also, dann wünsche ich dir viel Vergnügen, mein Kind. Und schöne Grüße an Herrn Espetun und seine Frau!“
Kurz darauf hupte es vor dem Hause. Es waren die beiden Freundinnen Kari und Cissi. Sie hatten sich verabredet, zu dritt eine Taxe zu nehmen – warum sollten sie für den langen Weg nach Villa Rosenhöhe hinaus drei Taxen bezahlen? Sie hätten auch sicher gar nicht drei Wagen bekommen können; denn was in Lillevik Taxe hieß, war heute abend besetzt, und die wenigen Leute, die
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