Das Buch Der 1000 Wunder
daß auf den allzu frischen Tag der müde, auf den allzu gesunden der kranke kommt. Fühlt man sich überwohl, dann haut man leicht ein bischen über die Stränge. Und wenn dann der nächste Morgen grau ist, so glaubt man, das letzte Glas Bier sei an allem schuld, oder die genossene Auster sei giftig gewesen.
Notiert man sich aber die Daten dieser Unglückstage, so erkennt man zu seiner Überraschung ihre periodische Beziehung und damit die Nebensächlichkeit der Gelegenheits-Ursachen. Nun wird es auch klar, was die Wendung sagt: eines schönen Tags war er mausetot. Wenn der Todestag wirklich ein periodischer ist, darf ihm der Auftakt des Wohlbefindens nicht fehlen. Und wer weiß nicht, wie oft der Kranke gerade dann stirbt, wenn er und sein Arzt vom Beginn der Genesung überzeugt sind.
Trifft der Tod wirklich nur den, der stirbt? Eine sonderbare Frage. Sie wird gleich ihre Beleuchtung empfangen, wenn ich an die häufigen Fälle erinnere, wo die Tochter nach dem Tod der Mutter »zusammenklappt«, oder einer seit dem Tod des Bruders ein alter Mann geworden ist. Meist sagt man, infolge der Aufregung. Aber das kann nicht richtig sein. Denn man sieht bei 44 Blutsverwandten gewöhnlich krankhafte Veränderungen mit dem Tod ihrer Nächsten eintreten, selbst dann, wenn sie von diesem Tod nichts wissen. Hier beginnt eine Gallenkolik, dort ein Haut- oder Nierenleiden, eine Schwerhörigkeit, ein Zuckerleiden. Man hat auf diesen zeitlichen Zusammenhang der Personen gleichen Bluts bisher noch nicht geachtet und hat äußere Ursachen dort gesucht, wo innere vorlagen.
Natürlich verrät der Tod nur mit besonderer Deutlichkeit, was auch sonst den periodischen Tagen eignet. Die Tage der Eltern färben auf die Kinder ab. An ihnen entstehen und heilen Krankheiten unserer Kleinen. Und wer sich ein wenig auf die Kinderseele versteht, kennt auch die Fleißtage und die »Faulfieber«, die Tugendtage und den »Bock«. Wer aber weiß, daß man diese Zeiten voraussagen kann, wenn man die monatlichen Schwankungen der Mutter berücksichtigt?”
Als einen besonders deutlichen Beweis seiner Theorie erzählt Fließ die folgende merkwürdige Krankheitsgeschichte.
„Einer meiner Klienten suchte mich alljährlich um den 22. November auf. Da war er immer krank. Bald hatte er sich »erkältet« und einen Katarrh erworben, bald »den Magen verdorben« und Verdauungsbeschwerden davongetragen, bald war er mit einem Furunkel behaftet, dessen Ursache er in »unreinem Blut« vermutete. Dieser 22. November war der Geburtstag seines Vaters und zweier Vaterbrüder. Und es war meinem Klienten selbst aufgefallen, daß jener 22. November als Krankheitszeit sich erst seit dem Todesjahr des Vaters bemerkbar gemacht hatte.
Eines Jahrs aber war mein Klient trotzdem am 22. November nicht erschienen. Er war gesund geblieben. Das fiel mir schwer aufs Herz. Denn ich weiß, daß ein plötzliches Aussetzen eines alljährlich wiederkehrenden Leidens nichts Gutes ahnen läßt. So war es auch hier.
Am 23. Januar des folgenden Jahrs werde ich schleunigst gerufen. Ein heftiger Schüttelfrost hatte den Patienten niedergeworfen. Es war der Sterbetag seiner Mutter, die vor 38 Jahren verschieden war. Nach einer bald darauf vorgenommenen Blinddarmoperation fühlte sich unser Kranker überfrisch. Die gewöhnlichen Beschwerden nach einem solchen Eingriff lernte er nicht kennen. Es war, als sei gar nichts geschehen. Solche Überfrische, die man Euphorie nennt, ist vom Übel. Denn der Umschlag ist nie weit. So konnte ein abermaliger Fieberfrost, der am 16. Februar zugleich mit heftigem Nasenbluten einsetzte, nicht wundernehmen. Glücklicherweise hatte sich nur ein Bauchdeckenabszeß entwickelt, der sich Tags darauf, am 17. Februar, ohne Kunsthilfe entleerte. Dieser 17. Februar aber war der mütterliche Geburtstag!
Die Krankheit war am mütterlichen Todestag entstanden und hatte am mütterlichen Geburtstag ihr natürliches Ende gefunden.
45 Das väterliche Jahr war also diesmal vom mütterlichen verdrängt worden, und diese Verdrängung hatte sich nicht ohne heftige Erschütterung vollzogen.
Nach diesen verblüffenden Tatsachen sah unser Freund nicht ohne Besorgnis dem nächsten 22. November entgegen. Ich konnte ihn beruhigen. Er hatte für dieses Mal dem Ablauf des Jahrs in seinem eigenen Organismus den schuldigen Tribut bezahlt. Aber nur für seine Person. Denn er mußte mir an diesem 22. November melden, daß sein Onkel, des Vaters Bruder, der auch am 22. November
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