Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Lissaboner Krankenhaus São Luís dos Franceses eingeliefert, er stirbt dort am 30. November. Am 2. Dezember wird er auf dem Cemitério dos Prazeres beigesetzt, 1985 werden seine sterblichen Überreste in den Kreuzgang des Jerónimos-Klosters in Belém umgebettet.
Aus Kindlers Literatur Lexikon:
Fernando Pessoa, ›Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares‹
Die Sammlung von 520 tagebuchartigen Textfragmenten erschien erst 1982 im Druck, von Maria Aliete Galhoz und Teresa Sobral Cunha aus den nachgelassenen Papieren entziffert und von Jacinto do Prado Coelho herausgegeben. Aufgrund der großen Schwierigkeiten beim Auffinden der Manuskripte und der schlechten Lesbarkeit zog sich die Publikation der Sammlung, die als eines der wesentlichen Werke des 20. Jh.s. gilt, nach dem Tode des Dichters nochmals um sein gesamtes Lebensalter hin. Die Anordnung der Fragmente blieb, da Pessoa selbst keinen Wert auf eine eigene Edition legte, den Herausgebern überlassen.
An seinem Hauptwerk in Prosa hat Pessoa 20 Jahre lang mit unterschiedlicher Intensität gearbeitet. Die ersten Aufzeichnungen stammen aus dem Jahr 1913, die letzten aus dem Jahr vor seinem Tod (1934). Der Autor schrieb die Prosastücke zunächst einem gewissen Vicente Guedes, seit 1930 dem Hilfsbuchhalter Bernardo Soares zu. Soares, dessen Biographie und äußere Erscheinung sich ungefähr mit Pessoas decken, wurde vom Dichter selbst – im Gegensatz zu den Heteronymen Caeiro, Reis und Campos – als literarische Person bezeichnet. Nimmt man sowohl Pessoas Definition von Prosa als einer, im Vergleich zur Poesie, »kleineren Lüge« ernst als auch seine Behauptung, Bernardo Soares komme dann zum Vorschein, wenn er müde oder schläfrig sei, so hat der Hilfsbuchhalter seinen Platz in der fiktionalen Welt Pessoas neben Faust und dem lyrischen Ich seiner Gedichte. Während die drei Heteronyme als Daseinsmodelle zu betrachten sind, als Versuche, die Dichotomie von Denken und Empfinden, Traum und Wirklichkeit zu lösen bzw. zu umgehen, steht im Livro do Desassossego das Leiden an dem alle Gefühle und Empfindungen zersetzenden Bewusstsein sowie die schmerzhaft empfundene Auflösung des Ichs im Mittelpunkt.
Bernardo Soares, der von sich behauptet: »Ich erschuf in mir verschiedene Persönlichkeiten. Ich erschaffe ständig Personen. Jeder meiner Träume verkörpert sich, sobald er geträumt erscheint, in einer anderen Person; dann träumt sie, nicht ich«, und damit das Phänomen der Heteronymie genau umschreibt, scheint von allen Fiktionen Pessoas diejenige zu sein, die dem Dichter am nächsten steht. Doch vermeidet Soares jeden intimen Beichtton, er erzählt vielmehr gleichmütig eine »faktenlose Autobiographie«, eine »Geschichte ohne Leben«. Der Hilfsbuchhalter, der in einem Handelsbüro in Lissabon arbeitet und in einem möblierten Zimmer haust, ist ein Flaneur, der seine Umgebung teilnahmslos betrachtet. Doch ist diese Aufmerksamkeit gegenüber den ihn umgebenden Menschen eher Ausgangspunkt zur Selbstreflexion als Ausdruck einer Auseinandersetzung mit der Außenwelt: »Es gibt Tage, an denen jeder Mensch, dem ich begegne, und noch mehr die Menschen, mit denen ich zwangsläufig Umgang habe, wie Symbole aussehen und entweder einzeln oder miteinander verbunden eine prophetische oder okkulte Schrift bilden, aufgezeichnet aus Schatten meines Lebens.« Das bunte Treiben auf den Straßen, fremdes Glück und Leid lassen den Einsamen nur seine Ausgeschlossenheit stärker spüren, jenen nihilistischen Überdruss, über den er im Zustand einer »tiefen und ruhigen Depression« reflektiert. Die Rua dos Douradores, in der sich sein Leben vorzugsweise abspielt, die Menschen, denen er dort begegnet, erscheinen ihm als verkleinertes Abbild von Leben und Welt.
Das Fragment 419 liefert einen wichtigen Schlüssel zum Verständnis der Aufzeichnungen: »Wir alle, die wir träumen und denken, sind Hilfsbuchhalter in einem Stoffgeschäft oder in irgendeinem anderen Geschäft in irgendeiner Unterstadt. Wir führen Buch und erleiden Verluste; wir zählen zusammen und gehen weiter; wir ziehen Bilanz, und der unsichtbare Saldo spricht immer gegen uns.« Dieses Bewusstsein ist es, was den Verfasser von seiner Umgebung unterscheidet, was ihn lähmt und jede Gefühlsregung oder zwischenmenschliche Bindung als sinnlos erscheinen lässt.
Während die früheren Fragmente ganz im Bann der Egodokumente des Fin de Siècle stehen – »vom Ungenauen und von Spuren leben
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