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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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gefangen im doppelten Verhängnis eines Mittelpunkts und einer nutzlosen Bewegung.

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    Ich suche mich, aber finde mich nicht. Ich gehöre zu Chrysanthemenstunden, makellos Vasen verlängernd. Gott hat aus meiner Seele etwas Dekoratives gemacht.
    Ich weiß nicht, welch übertrieben prunkvolle, erlesene Besonderheiten meine Geisteshaltung bestimmen. Zweifellos liebe ich alles Schmückende, weil ich in ihm etwas wahrnehme, das übereinstimmt mit der Substanz meiner Seele.

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    Die einfachsten Dinge, die wirklich einfachsten, die nichts halb-einfach machen kann, werden kompliziert, wenn ich sie lebe. Mitunter traue ich mich kaum, »Guten Tag« zu wünschen. Mir versiegt die Stimme, als sei es ungehörig kühn, diese Worte laut auszusprechen. Es ist eine Art Schamgefühl, zu existieren – anders kann ich es nicht nennen!

    Die beständige Analyse unserer Empfindungen erzeugt eine neue Art des Fühlens, die dem als künstlich erscheint, der nur mit dem Verstand analysiert und nicht mit der Empfindung.

    Mein Leben lang war ich metaphysisch nichtig, und lachhaft ernst. Nichts habe ich ernsthaft gemacht, sosehr ich auch wollte. In mir trieb ein boshaftes Schicksal sein Spiel.

    Emotionen aus Kattun haben, aus Seide, aus Brokat! So seine Emotionen beschreiben können! Seine Emotionen beschreiben können!

    In meiner Seele kommt göttliches Bedauern auf über alles, ein stilles, leidenschaftliches Verlangen, das Verdammen der Träume im Fleisch derer zu beweinen, die sie träumten … Und ich hasse ohne Haß alle Dichter, die Verse schrieben, alle Idealisten, die ihr Ideal [verwirklicht] [24]   sehen wollten, all jene, die erreichten, was sie wollten.

    Ziellos durchstreife ich die ruhigen Straßen, gehe, bis mein Körper müde ist wie meine Seele, bis mich jener äußerste, vertraute Schmerz schmerzt, der es genießt, daß man ihn spürt, sich selbst bemitleidet, unbestimmbar mütterlich, melodisch.

    Schlafen! Einschlafen! Ruhe finden! Ein abstraktes Bewußtsein sein, bewußt nur seines ruhigen Atems, ohne Welt, ohne Gestirne, ohne Seele – ein totes Meer der Empfindungen, das eine Abwesenheit von Sternen spiegelt!

136
    Die Last, zu fühlen! Die Last, fühlen zu müssen!

137
    … die übermäßige Schärfe meiner Empfindungen oder vielleicht nur ihrer Äußerung oder genauer noch des zwischen beiden liegenden Verstandes, der aus meinem Wunsch nach Äußerung die fiktive Emotion entstehen läßt, die nur existiert, um geäußert zu werden: Vielleicht ist sie nur der Mechanismus in mir, der enthüllt, wer ich nicht bin.

139
    Seit langem schon schreibe ich nicht mehr. Seit Monaten lebe ich nicht mehr, daure nur fort zwischen Büro und Physiologie, in einem tiefinneren Stillstand des Denkens und Fühlens. Unglücklicherweise verschafft mir dies nicht einmal Ruhe: In der Fäulnis liegt Gärung.
    Seit langem schon schreibe ich nicht nur nicht, sondern existiere nicht einmal mehr. Ich glaube, ich träume kaum noch. Die Straßen sind Straßen für mich. Ich erledige die Arbeit im Büro, widme ihr meine ganze Aufmerksamkeit, wenngleich ich auch immer wieder abschweife: ich schlafe in meinem Hinterkopf, statt nachzusinnen, und bin dennoch immer ein anderer hinter meiner Arbeit.
    Seit langem schon existiere ich nicht mehr. Ich bin vollkommen ruhig. Niemand unterscheidet mich von dem, der ich bin. Soeben habe ich mich atmen gespürt, als hätte ich etwas Neues oder Aufgeschobenes vollbracht. Ich erlange das Bewußtsein, Bewußtsein zu haben. Vielleicht erwache ich morgen für mich selbst und nehme den Lauf meiner eigenen Existenz wieder auf. Ich weiß nicht, ob mich das glücklicher macht oder weniger glücklich. Ich weiß nichts. Ich hebe mein Spaziergängerhaupt und sehe, daß auf dem Hügel des Kastells die auf der gegenüberliegenden Seite untergehende Sonne mit einem Widerschein kalten Feuers in Dutzenden Fenstern brennt. Rings um diese hart flackernden Augen liegt der ganze Hügel weich im Licht des verlöschenden Tages. Zumindest kann ich mich traurig fühlen und mir bewußt sein, daß meine Traurigkeit sich soeben – ich habe es mit den Ohren gesehen – mit dem jähen Geräusch der vorüberfahrenden Straßenbahn gekreuzt hat, mit den zufälligen Stimmen junger Leute, dem vergessenen Summen der lebendigen Stadt.
    Seit langem schon bin ich nicht mehr ich.

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    Zuweilen überkommt mich – und dann meist urplötzlich – mitten im Fühlen eine so furchtbare Lebensmüdigkeit, daß ich nicht die geringste

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