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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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    Eure Argonauten trotzten Ungeheuern und Ängsten. Auch ich mußte auf der Reise meines Denkens Ungeheuern und Ängsten trotzen. Auf dem Weg zum abstrakten Abgrund, auf dem Grund aller Dinge, gilt es Schrecknisse zu durchstehen, unvorstellbar für die Menschen unserer Welt, und Ängste, fremd aller menschlichen Erfahrung; das Kap des gemeinen Meers, das zum Unbestimmten führt, ist menschlicher vielleicht als der abstrakte Weg zum Vakuum der Welt.
    Der Heimstatt beraubt, vom Heimweg vertrieben, Witwer für immer der Annehmlichkeit eines immergleichen Lebens, erreichten Eure Sendboten endlich – Ihr wart schon verstorben – das ozeanische Ende der Welt. Sie schauten – stofflich – einen neuen Himmel und eine neue Erde.
    Ich, fern der Wege meiner selbst, blind vom Sehen des Lebens, das ich liebe, […], habe endlich auch das leere Ende der Dinge erreicht, das unwägbare Ufer der Grenze aller Wesen, die Pforte ohne Ort zum abstrakten Abgrund der Welt. Ich trat, Herr, durch diese Pforte. Ich irrte, Herr, über dieses Meer. Ich starrte, Herr, in diesen unsichtbaren Abgrund.
    Ich widme dieses Werk der höchsten Entdeckung dem Andenken Eures portugiesischen Namens, o Schöpfer der Argonauten.

126
    10 .  12 .  1930
    Ich kenne lange Phasen des Stillstands. Nicht daß ich, wie so viele, ganze Tage verstreichen ließe, um mit einer Postkarte auf einen eiligen Brief zu antworten. Nicht daß ich, wie kaum einer, das Leichte, mir Nützliche oder das Nützliche, mir Angenehme auf die lange Bank schöbe. Mein mangelndes Einvernehmen mit mir selbst ist subtiler geartet. Ich stehe seelisch still. Wille, Gefühl und Denken setzen aus, und dieses Aussetzen zieht sich über endlose Tage hin; nur das vegetative Leben meiner Seele – Worte, Gesten, Gewohnheiten – bringt mich anderen, und durch sie mir selbst zum Ausdruck.
    Während dieser Schattenzeiten bin ich außerstande zu denken, zu fühlen, zu wollen. Ich kann nur Zahlen schreiben oder Striche kritzeln. Ich fühle nichts, und der Tod eines geliebten Menschen wirkt auf mich, als sei er in einer fremden Sprache geschehen. Ich bin hilflos, es ist, als schliefe ich und als seien meine Gesten, meine Worte, mein bewußtes Tun nicht mehr als ein peripheres Atmen, der rhythmische Instinkt irgendeines Organismus.
    So vergehen Tage um Tage; und zählte ich sie alle zusammen, wer weiß, wie viele meines Lebens nicht auf die Weise vergangen sind? Bisweilen, wenn ich mich dieser Erstarrung entledige, frage ich mich, ob ich vielleicht nicht weit weniger entblößt dastehe, als ich denke, und ob da nicht noch etwas nicht Greifbares ist, das die ewige Abwesenheit meiner wahren Seele verhüllt, und ich frage mich, ob Denken, Fühlen, Wollen nicht ebenfalls Stillstand bedeuten können angesichts eines weiterreichenden Denkens, eines persönlicheren Fühlens, eines Wollens, verloren im Labyrinth dessen, was ich wirklich bin.
    Wie dem auch sei, ich lasse es geschehen. Und dem Gott oder den Göttern, die es geben mag, übergebe ich, was ich bin, so wie das Schicksal es fügt und der Zufall es mit sich bringt, getreu einem vergessenen Versprechen.

127
    Ich entrüste mich nicht, denn Entrüstung ist für die Starken; ich resigniere nicht, denn Resignation ist für die Edlen; ich schweige nicht, denn Schweigen ist für die Großen. Und ich bin weder stark noch edel noch groß. Ich leide und ich träume. Ich klage, weil ich schwach bin. Und da ich Künstler bin, freue ich mich daran, meine Klagen klingen zu lassen und meine Träume so zu träumen, daß sie schön sind und meiner Vorstellung am ehesten entsprechen.
    Ich bedaure nur, daß ich kein Kind bin, dann könnte ich an meine Träume glauben, und daß ich kein Narr bin, dann könnte ich mir jeden von der Seele halten, der mich bedrängt, […]

    Traum war für mich immer Wirklichkeit, zu intensiv gelebt, und somit jener Dorn an der falschen Rose meines erträumten Lebens, der mir selbst die Freude am Traum vergällt, da ich Fehler an ihm finde.
    Selbst mit bunt bemalten Fenstern läßt sich das laute Leben draußen, das fremde, nicht vor meinem Blick verbergen.

    Glücklich die Macher pessimistischer Systeme! Sie können sich nicht nur auf Vollbrachtes berufen, sondern auch des Dargelegten erfreuen und sich in den Weltschmerz einbeziehen.

    Ich klage nicht über die Welt. Ich protestiere nicht im Namen des Universums. Ich bin kein Pessimist. Ich leide und ich klage, weiß allerdings nicht, ob leiden die Regel noch ob

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