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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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»nein, danke« –, man hätte mich zurück in die Anrichte gestellt, und dort wäre ich alt geworden. So aber, weggeworfen, nachdem man meine brauchbare Substanz verzehrt hat, verschwinde ich samt dem Staub dessen, was vom Leibe Christi übrigblieb, im Mülleimer und kann mir nicht einmal vorstellen, was nun und unter welchen Sternen folgen, unweigerlich folgen wird; das ja.

131
    Da ich nichts zu tun habe noch denken will, was ich tun könnte, vertraue ich diesem Papier die Beschreibung meines Ideals an –
    Notiz:
    Die Sensibilität Mallarmés im Stil Vieiras; wie Verlaine im Körper von Horaz träumen; Homer im Mondlicht sein.
    Alles auf alle Weise fühlen; mit den Gefühlen denken können und mit dem Denken fühlen; mit coquetterie leiden; klar sehen, um richtig zu schreiben; sich erkennen mit Verstellungskunst und taktischem Geschick; sich als anderer Mensch einbürgern samt allen Dokumenten; kurzum, keine Empfindung nach außen dringen lassen, sie abschälen bis hin zu Gott; dann aber von neuem einwickeln und wieder ins Schaufenster legen wie der Handlungsgehilfe, den ich von hier aus sehen kann, mit den kleinen Schuhcremedosen einer neuen Marke.
    All diese Ideale, mögliche wie unmögliche, finden jetzt ein Ende. Ich habe die Wirklichkeit vor mir – es ist nicht einmal der Handlungsgehilfe, es ist seine Hand (ihn kann ich nicht sehen), absurder Tentakel einer Seele mit Familie und Schicksal, tastend wie eine Spinne ohne Netz, sich streckend, während sie die Ware wieder in die Auslage legt.
    Und eine der Dosen fällt zu Boden – wie unser aller Schicksal.

132
    Je genauer ich das Schauspiel der Welt betrachte, den sich beständig ändernden Stand der Dinge, desto überzeugter bin ich vom Fiktiven, das allem eigen ist, vom falschen und hohen Ansehen, das alle Wirklichkeit genießt. Und bei diesem Betrachten, wie es wohl jedem Nachdenkenden zustößt, wirkt die bunte Parade von Sitten und Moden, der komplizierte Lauf von Zivilisation und Fortschritt, das großartige Durcheinander von Imperien und Kulturen, ja, wirkt all dies auf mich wie ein Mythos, eine Fiktion, geträumt zwischen Schatten und Vergessen. Doch ich weiß nicht, ob die höchste Bestimmung dieser Ziele – tot, selbst wenn erreicht – im ekstatischen Entsagen Buddhas liegt, der aufstand aus seiner Ekstase, als er die Leere der Dinge erkannte, und sagte: »Nun weiß ich alles«, oder aber im allzu geübten Gleichmut des Kaisers Severus: » omnia fui, nihil expedit – ich bin alles gewesen, nichts ist der Mühe wert.«

133
    … die Welt, ein Misthaufen instinktiver Kräfte, der dennoch in der Sonne glänzt, strohgolden, in hellen und in dunklen Tönen.

    Wenn ich es recht bedenke, sind für mich Seuchen, Unwetter und Kriege Auswüchse ein und derselben blinden Kraft, die entweder mittels unbewußter Mikroben vorgeht, unbewußter Blitze und Wassermassen oder mittels unbewußter Menschen. Der Unterschied zwischen einem Erdbeben und einem Massaker ist für mich der gleiche wie zwischen einem Mord durch ein Messer und einem Mord durch einen Dolch. Das den Dingen innewohnende Ungeheuer setzt – zu seinem Vor- wie zu seinem Nachteil, was ihm scheinbar einerlei ist – einen Felsblock auf einem Berg in Bewegung wie auch Eifersucht oder Gier in einem Herzen. Der Felsblock fällt herab und tötet einen Menschen; Gier oder Eifersucht bewaffnen einen Arm, und der Arm tötet einen Menschen. So ist die Welt, ein Misthaufen instinktiver Kräfte, der dennoch in der Sonne glänzt, strohgolden, in hellen und in dunklen Tönen.
    Um dieser brutalen Gleichgültigkeit entgegenzutreten, die offenkundig den Kern aller Dinge ausmacht, haben die Mystiker die Ablehnung entdeckt. Die Welt verneinen, ihr den Rücken kehren wie einem Sumpf, an dessen Rand wir stehen. Sie verneinen wie Buddha, ihr die absolute Wirklichkeit absprechen; sie verneinen wie Christus, ihr die relative Wirklichkeit absprechen; verneinen […]

    Ich habe vom Leben einzig erbeten, nichts von mir zu verlangen. Vor der Hütte, die ich nicht hatte, setzte ich mich in die Sonne, die nie schien, und genoß das künftige Alter meiner müden Wirklichkeit (froh, daß es noch nicht soweit war). Noch nicht gestorben zu sein genügt den im Leben Armen, und noch hoffen zu können […]

    [ …] mich am Traum nur erfreuend, wenn ich nicht träume, mich der Welt nur erfreuend, wenn ich fern von ihr träume. Schwingendes Pendel, vor und zurück, sich rastlos bewegend, um nie anzukommen, auf ewig

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