Das Buch meiner Leben
ich von Isabel geträumt. Sie hatte sich in meinen Armen heftig hin und her geworfen, als hätte sie plötzlich Schmerzen, und dann war sie mir entglitten. Mit einem Schrei war ich aus dem Traum hochgeschreckt, noch ehe sie auf dem Boden landete. In der Intensivstation sang ich verzweifelt all meine Schlaflieder, um sie zu beruhigen. Schließlich schlief sie ein, doch dann merkte ich, dass ihr Atem erschreckend lange aussetzte. Der diensthabende Pfleger sagte, dass Schlafapnoe bei Kleinkindern nicht selten sei, aber dieser offenkundige Blödsinn erschreckte mich mehr, als dass er mich ärgerte. Der Pfleger rief den diensthabenden Arzt, und alles wurde genau protokolliert. Wenig später löste Teri mich ab, ich fuhr nach Hause zu Ella.
Mitten in der Nacht klingelte das Telefon. Teri gab mir Dr. Fangusaro, der erklärte, dass Isabels Blutdruck sehr schlecht aussehe. Ich solle umgehend in die Klinik kommen.
Nachdem ich Ella bei meiner Schwägerin gelassen hatte, raste ich ins Krankenhaus. Ein ganzer Trupp von Ärzten und Pflegern stand um Isabels Bett. Ihr Gesicht war aufgedunsen, die Augenlider geschwollen. In ihren Händchen steckten lauter Nadeln, durch die blutdruckstabilisierende Flüssigkeit in ihren Körper gepumpt wurde. Dr. Fangusaro und Dr. Lulla erklärten, dass Isabel in einem kritischen Zustand sei. Sie wollten von Teri und mir wissen, ob sie alles tun sollten, um sie am Leben zu erhalten. Wir sagten ja. Sie wiesen darauf hin, dass die Entscheidung, ob sie ihre Bemühungen fortsetzen oder einstellen sollten, bei uns liege.
Und von da an habe ich keine Erinnerung mehr. Teri sitzt in der Ecke, unaufhörlich und leise weinend, wahrhaft unbeschreibliche Angst in den Augen; der grauhaarige Arzt (sein Name ist mir entfallen, auch wenn mich sein Gesicht täglich ansieht) erteilt den Assistenzärzten Anweisungen. Isabels Herz schlägt nicht mehr, ihr Brustkorb wird massiert. Ihr Herz schlägt wieder, ich klage: » Mein Kind! Mein Kind! Mein Kind! « Dann müssen Teri und ich wieder eine Entscheidung treffen: Isabels Nieren versagen, sie braucht eine Dialyse, eine sofortige chirurgische Intervention ist erforderlich, um sie an die Dialysemaschine anzuschließen – und möglicherweise wird sie die Operation nicht überstehen. Wir sagen ja. Ihr Herz stockt. Der Brustkorb wird wieder massiert. Draußen auf dem Flur stehen unbekannte Menschen, die in Gedanken bei Isabel sind, manche in Tränen. » Mein Kind! Mein Kind! Mein Kind! « , heule ich. Ich umarme Teri. Isabels Herz schlägt wieder. Der grauhaarige Arzt wendet sich an mich und sagt: » Zwölf Minuten. « Ich verstehe nicht gleich, was er meint. Dann begreife ich: Isabel war zwölf Minuten klinisch tot. Dann hört ihr Herz wieder auf zu schlagen, eine junge Ärztin massiert halbherzig ihre Brust, wartet darauf, dass wir sie bitten, aufzuhören. Wir bitten sie, aufzuhören. Sie hört auf.
In meinen rasch verdrängten Visionen hatte ich Isabels Tod gesehen. Trotz all meiner Mühe war es ein ruhiger, filmreifer Moment – Teri und ich halten Isabels Hände, während sie friedlich entschläft. Nie hätte ich mir den tiefen Schmerz vorstellen können, den wir empfanden, als die Krankenschwestern alle Schläuche und Kabel entfernten und ein jeder den Raum verließ und Teri und ich unser totes Kind hielten – unsere schöne, stets lächelnde Tochter, der Körper aufgedunsen von lauter Flüssigkeit und übel zugerichtet nach den Brustmassagen – und wir ihre Wangen und Zehen küssten. Obwohl ich mich ganz deutlich an diesen Moment erinnere, ist er für mich noch immer unvorstellbar.
Und wie tritt man aus solch einem Moment? Wie lässt man sein totes Kind da und kehrt zurück in den leeren Alltag dessen, was man als sein Leben bezeichnen könnte? Schließlich legten wir Isabel wieder auf das Bett, deckten sie zu, unterschrieben, was an Papieren unterschrieben werden musste, packten alles zusammen – ihr Spielzeug, unsere Kleidung, den iPod, die Essensdosen, die Trümmer des Vorher. Vor dem Zimmer hatte jemand einen schützenden Paravent aufgestellt. All die freundlichen Menschen, die Isabel die Daumen gedrückt hatten, waren fort. Wie Flüchtlinge, beladen mit großen Plastiktüten, gingen wir zur Garage auf der anderen Straßenseite, stiegen in unser Auto und fuhren auf sinnlosen Straßen zur Wohnung meiner Schwägerin.
Ich weiß nicht, welche Fähigkeit es braucht, um den Tod zu verstehen, aber Ella schien sie zu besitzen. Als wir ihr erzählten, dass ihre
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