Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
sie.
»Ja?«
»Unser Sohn … Du musst dich um ihn kümmern, hörst du?«
»Das werde ich«, versprach Conn. Ungehemmt rannen Tränen über seine Wangen. »Ich schwöre es dir.«
Ihre Züge entspannten sich daraufhin. »Sei nicht traurig, Geliebter. Denn siehe, der Winter ist vergangen, der Regen ist vorbei, die Blumen zeigen sich im Lande …«
Conn schüttelte den Kopf. Er wollte nichts hören von Blumen und von Freude, wenn in seinem Herzen eisige Trauer herrschte. »Bitte geh nicht …«, flüsterte er mit brüchiger Stimme.
»Adonei segne und behüte dich, mein Geliebter«, sagte sie so leise, dass er sich dicht über sie beugen musste, um sie zu verstehen. »Er wende dir sein Angesicht zu und gebe dir Frieden …«
Sie hatte die Worte kaum zu Ende gesprochen, als ihr Blick leer wurde und ihr Körper schlaff, und er wusste, dass ihre Seele ihren Körper verlassen hatte.
Noch einen Augenblick lang kauerte er am Boden, wünschte auch ihr Frieden und küsste sie zum Abschied auf die Stirn – dann schrie er seinen Schmerz und seinen hilflosen Zorn so laut hinaus, dass sich seine Stimme überschlug und von den Wänden der Kammer widerhallte.
In seinem Gram griff er zu der Schriftrolle, die noch immer in seinem Gürtel steckte und deretwegen so viele Menschen ihr Leben gelassen hatten – geliebte Menschen, Freunde, Weg g efährten, die er nie vergessen würde. Und noch ehe er sich anders besinnen oder Bahram ihn daran hindern konnte, hatte er das Pergament bereits in die Flamme der Fackel gehalten, die neben ihm am Boden lag.
Mit vor Tränen verschwimmenden Blicken betrachtete Conn das lodernde Schriftstück, und es erfüllte ihn mit einer gewissen Genugtuung, dass es niemandem mehr den Tod bringen würde. Er behielt es so lange in der Hand, wie er es wagen konnte, ohne sich zu verbrennen, dann warf er es von sich und schaute zu, wie das Buch von Ascalon vollends zu Asche zerfiel.
Es lag etwas Befreiendes darin, und auch wenn die Trauer in seinem Herzen dadurch nicht gemindert wurde, so dämpfte es doch die Verbitterung und den hilflosen Zorn.
»Conwulf?« Bahram war an ihn herangetreten und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»W as?«, fuhr Conn ihn an.
Statt zu antworten, deutete der Armenier nur nach dem Sarkophag mit dem Siegel Salomons.
Die Lade.
Noch immer war sie hier, wartete seit Jahrhunderten darauf, dass jemand sie aus ihrem dunklen Versteck ans Licht holte. Nicht viel hätte gefehlt, und sie wäre in die Hände von Mächten geraten, die sie zum Krieg und zur Zerstörung, nicht aber dazu nutzen wollten, um Gott und die Menschen zu verbinden.
Darum allein ging es.
Nicht um Bekenntnisse, sondern um Gesinnung. Nicht darum, woran jemand glaubte, sondern um die Natur seiner Handlungen.
Das erkannte Conwulf in diesem Augenblick, in dem hoch über ihm, auf dem Tempelberg von Jerusalem, die siegreichen Kreuzfahrer mit Feuer und Schwert über die wehrlosen Bürger der Stadt herfielen und Juden wie Muslime zu hunderten töteten.
A uf der langen Pilgerschaft, die sie vom fernen Europa in die Heilige Stadt geführt hatte, hatten sie Gott gesucht, am Ende jedoch nur sich selbst gefunden, ihre menschliche Gier und ihre Rachsucht. Conn und seinen Gefährten hingegen war es vergönnt gewesen, eine wenn auch nur geringe Ahnung vom Himmelreich auf Erden zu erhaschen, von jener Harmonie, die unter den Kindern Gottes herrschen konnte und es eines fernen Tages vielleicht auch würde.
Chaya hatte am Ende fest daran geglaubt.
Berengar Trost darin gefunden.
Baldric sie noch erfahren.
Und sie verpflichtete Conn dazu, die Mission, die er sich selbst auferlegt hatte, zu Ende zu bringen. Und Bahram al-Armeni, sein einstiger Feind und Gegner auf dem Schlachtfeld, der ihm als einziger Gefährte verblieben war, würde ihm dabei helfen.
Dieses Versteck war nicht länger sicher.
Die Lade musste fortgeschafft werden, an einen anderen, weit entfernten Ort, wo sie vor Eiferern sicher war, wessen Glaubens sie auch sein mochten, bis die Menschen reif sein würden, dieses Geschenk von unschätzbarem Wert recht zu gebrauchen.
Irgendwann.
Eines fernen Tages, der, davon war Bahram überzeugt, schon jetzt in den Sternen stand.
EPILOG
Ascalon
Im 69. Jahr des Königreichs von Jerusalem
So ist es geschehen. Und niemand soll behaupten, Wichtiges wäre weggelassen und Unwichtiges hinzugefügt worden, nur um das Herz des Lesers zu erfreuen. Denn ich habe alles genauso aufgeschrieben, wie es mir von jenen berichtet wurde,
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