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Das Chagrinleder (German Edition)

Das Chagrinleder (German Edition)

Titel: Das Chagrinleder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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nationalen und liberalen Bestrebungen; durch die Wiener Märzrevolution 1848 gestürzt] mit allen jenen dreisten Crispins [Fußnote: Crispin : dreiste und stets auf das eigene Wohl bedachte Diener-Gestalt der französischen Komödie] beliefern, die unter sich um Geschicke eines Reiches spielen, wie die gewöhnlichen Leute beim Domino um ihr Kirschwasser. Wir haben dich als den unerschrockensten Kämpen ausgegeben, der es je mit der Ausschweifung aufgenommen hat, jenem herrlichen Ungeheuer, das alle starken Geister zum Kampf herausfordert; ja, wir haben sogar behauptet, daß es dich noch nicht besiegt habe. Ich hoffe, du wirst unsere Lobreden nicht Lügen strafen. Taillefer, unser Amphitryon, [Fußnote: Amphitryon : sagenhafter König von Theben, der eine Blutschuld sühnen mußte, um die Hand Alkmenes zu erlangen. Nach der gleichnamigen Komödie von Molière gilt er als wohlhabender, gern den Gastgeber spielender Mann] hat uns versprochen, die knausrigen Saturnalien [Fußnote: Saturnalien : altrömische Feste zu Ehren des Gottes Saturn mit karnevalistischem Treiben und dem Rollentausch von Herren und Sklaven] unserer kleinen modernen Lukullusse zu überbieten. Er ist reich genug, um Niedrigkeit mit Größe, Laster mit Eleganz und Grazie zu umgeben. Hörst du zu, Raphael?« fragte der Redner und unterbrach sich.
    »Ja«, antwortete der junge Mann, der weniger erstaunt war über die Erfüllung seiner Wünsche als über die Natürlichkeit, mit der die Ereignisse sich verketteten.
    Obgleich es ihm unmöglich war, an einen magischen Einfluß zu glauben, bewunderte er die Zufälle des menschlichen Lebens.
    »Du sagst ›ja‹ zu uns in einer Weise, als ob du an den Tod deines Großvaters dächtest«, sagte einer seiner Kameraden.
    »Ach«, sagte Raphael in einem so naiven Ton, daß die Schriftsteller, die Hoffnung des jungen Frankreich, in Gelächter ausbrachen, »ach, meine Freunde, ich dachte eben daran, daß wir auf dem Weg sind, rechte Schurken zu werden. Bisher haben wir nur zwischen zwei Weinen ruchlose Reden geschwungen, haben im Rausch das Leben und beim Verdauen Menschen und Dinge beurteilt. Jungfräulich im Tun, waren wir nur in Worten vermessen; jetzt aber vom glühenden Eisen der Politik gebrandmarkt, werden wir in dieses große Bagno eintreten und unsere Illusionen verlieren. Wenn man nur mehr an den Teufel glaubt, ist es erlaubt, um das Paradies der Jugend zu trauern, die Zeit der Unschuld, da wir einem guten Priester gläubig die Zunge hinstreckten, um den heiligen Leib unseres Herrn Jesu Christi zu empfangen. Ach, liebe Freunde, wenn uns ehemals unsere ersten Sünden so viel Vergnügen machten, dann weil wir noch Gewissensbisse hatten, die sie verschönten, ihnen einen pikanten Reiz verliehen; jetzt hingegen ...«
    »Oh, jetzt«, warf der erste Redner ein, »bleibt uns ...«
    »Was?« fragte ein anderer.
    »Das Verbrechen ...«
    »Das ist ein Wort, das die Höhe eines Galgens und die Tiefe der Seine hat«, versetzte Raphael.
    »Oh, du verstehst mich nicht ... ich rede von politischen Verbrechen. Seit heute morgen trachte ich nur noch nach einem: nach der Existenz eines Verschwörers. Ob ich morgen noch immer Lust dazu habe, weiß ich nicht; aber heute abend erfüllt das schale Leben unserer Zivilisation, das so einförmig ist wie ein Schienenstrang, mein Herz mit Ekel. Die Schrecken des Rückzugs von Moskau, die Abenteuer des roten Korsaren [Fußnote: roter Korsar : Anspielung auf den Helden des Romans »Der rote Korsar« (1827) von James Fenimore Cooper (1789-1851)] und das Leben der Schmuggler begeistern mich leidenschaftlich. Da es in Frankreich kein Kartäuserkloster mehr gibt, so wünschte ich, daß es wenigstens ein Botany Bay, [Fußnote: Botany Bay : große Bucht in der Nähe von Sydney, ursprünglich für die in Port Jackson errichtete Strafkolonie vorgesehener Standort, auf die sich die Anspielung bezieht] eine Art Heilanstalt für die kleinen Lord Byrons gäbe, die, nachdem sie das Leben wie eine Serviette nach Tisch weggeworfen haben, nichts Besseres wissen, als ihr Land in Brand zu stecken, sich eine Kugel in den Kopf zu jagen, für die Republik zu konspirieren oder zum Krieg zu hetzen ...«
    »Emile«, unterbrach Raphaels Nachbar feurig den Redner, »auf Manneswort, ohne die Julirevolution wäre ich Priester geworden, um irgendwo auf dem Land ein stumpfsinniges Leben zu führen und ...«
    »Und du hättest alle Tage das Brevier gelesen?«
    »Ja.«
    »Du bist ein Tor.«
    »Wir lesen doch auch

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