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Das Chagrinleder (German Edition)

Das Chagrinleder (German Edition)

Titel: Das Chagrinleder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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huldigen. Was lieben sie in uns? Lediglich sich selber noch einmal! Hüllt sich aber ein armer stolzer, mit schöpferischer Kraft begabter Künstler nicht in einen verletzenden Egoismus? Ihn umgibt ein eigenartiger Wirbel von Ideen, in den er alles, selbst seine Geliebte hineinzieht, die deren Bewegung folgen muß. Kann eine umworbene, umschmeichelte Frau an die Liebe eines solchen Mannes glauben? Kann sie eine solche Liebe suchen? Ein solcher Liebhaber hat nicht die Muße, sich vor einem Diwan all den äffischen Sentimentalitäten zu überlassen, auf die die Frauen so großen Wert legen und die gerade die falschen und herzlosen Männer beispiellos beherrschen. Er hat für seine Arbeit nicht Zeit genug, wie sollte er sie damit vergeuden, sich zu erniedrigen und den Gecken zu spielen? Ich war bereit, mein Leben auf einmal hinzugeben, nie aber stückweise wegzuwerfen. Außerdem liegt in dem diensteifrigen Gebaren eines Wechselmaklers, der für so eine blasse Zierpuppe den Laufburschen spielt, etwas derart Erbärmliches, daß es dem Künstler ein Greuel ist. Die abstrakte Liebe genügt einem armen großen Mann nicht, er verlangt alle Hingabe. Die seelenlosen Geschöpfe, die ihr Leben damit verbringen, Kaschmirschals zu probieren oder Kleiderständer der Mode zu spielen, sind keiner Hingabe fähig, für sie ist die Liebe allein das Vergnügen zu befehlen, nicht das, zu gehorchen. Die wahre Gattin, die es mit Seele und Leib und ihrem ganzen Wesen ist, folgt jenem willig, in dem ihr Leben, ihre Kraft, ihr Ruhm und ihr Glück beschlossen liegt. Große Männer brauchen orientalische Frauen, die keinen anderen Gedanken kennen, als deren Bedürfnisse zu erkunden; denn ihr Unglück ist das Mißverhältnis zwischen ihren Wünschen und ihren Mitteln. Und ich, der ich mich für ein Genie hielt, mußte ausgerechnet solche Modedämchen lieben! Ich hegte Gedanken, die allen überlieferten widersprachen; war festen Willens, den Himmel ohne Leiter zu stürmen; ich besaß Schätze, die keinen Kurswert hatten; ich war mit Kenntnissen vollgestopft, die mein Gedächtnis belasteten, weil sie noch nicht geordnet, ja kaum verdaut waren; ich stand in der grauenhaftesten Wüste, in einer Wüste, die gepflastert und belebt war, die dachte, lebte, in der einem alles mehr als feindlich gegenübersteht, nämlich gleichgültig, mutterseelenallein. Ohne Eltern und ohne Freunde. Da war der Entschluß, den ich faßte, so toll er war, doch natürlich; er verlangte Unmögliches, und das machte mir Mut. Es war, als hätte ich mit mir selbst gewettet, wobei ich Spieler und Einsatz zugleich war. Höre, welchen Plan ich faßte: Mit meinen 1100 Francs wollte ich drei Jahre lang mein Leben fristen und diese Zeit daran wenden, ein Werk zu verfassen, das die öffentliche Aufmerksamkeit auf mich lenken, mir ein Vermögen oder einen Namen schaffen mußte. Ich schwelgte in dem Gedanken, daß ich mich mitten im lärmenden Paris in einer Sphäre der Arbeit und des Schweigens eingraben wollte wie eine Schmetterlingspuppe, um glänzend und glorreich aufzuerstehen. Ich malte mir aus, wie ich, einem Einsiedler der Thebais vergleichbar, in die Welt der Bücher und der Gedanken untertauchen und abgeschlossen und unzugänglich von Milch und Brot leben wollte. Ich wollte mein Leben aufs Spiel setzen, um zu leben. Ich fand, daß, wenn ich mich auf die wahren Bedürfnisse, auf das unbedingt Notwendige beschränkte, 365 Francs im Jahr für mein ärmliches Leben reichen müßten. Und in der Tat habe ich mit dieser kargen Summe mein Dasein so lange gefristet, wie ich mich meiner selbstauferlegten klösterlichen Disziplin fügen wollte ... «
    »Unmöglich!« rief Émile.
    »Ich habe fast drei Jahre so gelebt«, versetzte Raphael mit einem gewissen Stolz. »Rechnen wir nach!« fuhr er fort. »Für drei Sous Brot, für zwei Sous Milch, für drei Sous Fleisch ließen mich nicht Hungers sterben und hielten meinen Geist in einem Zustand seltsamer Klarheit. Wie du weißt, habe ich beobachtet, daß die Diät einen wunderbaren Einfluß auf die Phantasie ausübt. Mein Zimmer kostete mich drei Sous täglich, nachts verbrannte ich für drei Sous Öl, ich räumte mein Zimmer selbst auf und trug Flanellhemden, um nicht mehr als zwei Sous pro Tag für Wäsche ausgeben zu müssen. Ich heizte mit Steinkohle und habe, wenn man die Ausgabe auf alle Tage des Jahres verteilt, nie mehr als zwei Sous täglich dafür ausgegeben. Ich besaß Kleider, Wäsche und Schuhe für drei Jahre und gedachte, mich

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