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Das Chagrinleder (German Edition)

Das Chagrinleder (German Edition)

Titel: Das Chagrinleder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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vorigen Tages auslöschte und sich am nächsten Tag wie eine neue Geliebte zeigte. Als ich an den Portalen des Instituts vorbeikam, befiel mich ein fiebriges Schauern. Es fiel mir ein, daß ich noch nichts gegessen hatte. Ich besaß keinen Heller. Um mein Unglück vollzumachen, brachte der Regen meinen Hut aus der Fasson. Wie sollte ich jemals ohne einen brauchbaren Hut vor eine elegante Frau hintreten und mich in einem Salon präsentieren! Längst verfluchte ich die dumme alberne Mode, die uns verdammt, durch beständiges In-der-Hand-Halten des Hutes das Hutfutter den Blicken preiszugeben; doch war es mir bisher durch äußerste Sorgfalt gelungen, den meinen in einem erträglichen Zustand zu erhalten. Ohne daß er auffallend neu oder abgenutzt alt, sehr seidig oder ganz ohne allen Glanz gewesen wäre, konnte er für den Hut eines sorgfältig gekleideten Menschen gelten; aber seine künstliche Existenz langte nun bei ihrer letzten Periode an; er war verbogen, zerbeult, fertig, ein wahrer Lumpen, würdiger Repräsentant seines Herrn. Wegen fehlender 30 Sous ging ich meiner mühsamen Eleganz verlustig. Oh! Wie viele Opfer hatte ich Fœdora seit drei Monaten gebracht, von denen sie nichts wußte! Oft gab ich das Geld für eine Woche Brot dahin, um sie einen Augenblick zu sehen. Meine Arbeit liegenlassen und hungern, das war nichts! – aber durch die Straßen von Paris eilen, ohne sich bespritzen zu lassen, rennen, um nicht in den Regen zu kommen, in ebenso tadelloser Kleidung vor ihr zu erscheinen wie die Stutzer, die sie umgaben –, ja, diese Aufgabe barg für einen verliebten und zerstreuten Poeten unzählige Schwierigkeiten! Mein Glück, meine Liebe hing von einem Spritzerchen Straßenschmutz auf meiner einzigen weißen Weste ab! Darauf verzichten zu müssen, sie zu sehen, wenn ich schmutzig oder naß wurde! Nicht fünf Sous zu besitzen, um von einem Stiefelputzer die Kotspritzer auf meinen Stiefeln entfernen zu lassen! Und trotz aller dieser kleinen unbekannten Martern, die für einen reizbaren Menschen ungeheuer waren, war meine Leidenschaft gewachsen. Die Unglücklichen müssen Opfer bringen, über die sie mit den Frauen, die in einer Sphäre des Luxus und der Eleganz leben, nicht sprechen dürfen; jene sehen die Welt durch ein Prisma, das Menschen und Dinge vergoldet. Optimistisch aus Egoismus, grausam aus gutem Ton, schenken sich diese Frauen das Nachdenken um des Genießens willen und sprechen sich von ihrer Gleichgültigkeit gegen das Unglück damit frei, daß sie vom Vergnügen zu sehr in Anspruch genommen sind. Für sie ist ein Heller eine Million, die Million scheint ihnen ein Heller. Wenn die Liebe ihre Sache mit großen Opfern verfechten muß, so muß sie diese auch zartfühlend mit einem Schleier verhüllen, sie im Stillschweigen begraben. Den reichen Männern aber kommen, wenn sie sich aufopfern und ihr Vermögen und ihr Leben vergeuden, die gesellschaftlichen Vorurteile zugute, die ihre verliebten Torheiten immer mit einem gewissen Glanz umgeben; das Schweigen redet für sie, und der Schleier ist eine Gunst, während meine schreckliche Not mich zu entsetzlichen Leiden verdammte, ohne daß es mir vergönnt gewesen wäre zu sagen: Ich liebe! oder: Ich sterbe! Und konnte man das schließlich Aufopferung nennen? War ich denn nicht reichlich belohnt durch die Freude, alles für sie hinzugeben? Die Comtesse hatte den alltäglichsten Ereignissen meines Lebens außerordentlichen Wert, unsagbare Wonnen verliehen. Früher war ich in punkto Kleidung gleichgültig, jetzt respektierte ich meinen Anzug wie ein zweites Ich. Zwischen einer Wunde und einem Riß in meinem Frack hätte ich keinen Augenblick geschwankt. Versetze dich in meine Lage, dann wirst du die wutschäumenden Gedanken, die wachsende Raserei begreifen, die mich beim Gehen durchtobten und vielleicht meinen Schritt noch beschleunigten. Ich empfand eine gleichsam infernalische Freude, mich nun auf dem Gipfel des Unglücks zu sehen. Ich wollte in dieser letzten Krise ein Unterpfand des Glücks erblicken; aber das Unheil ist an Schätzen unerschöpflich. Die Haustür meines Hotels war halboffen. Durch die herzförmigen Ausschnitte des Fensterladens fiel ein Lichtschein auf die Straße. Pauline und ihre Mutter erwarteten plaudernd mein Nachhausekommen. Ich hörte meinen Namen, ich lauschte. »Raphael«, sagte Pauline, »ist viel hübscher als der Student von Nr. 7! Seine blonden Haare haben eine so schöne Farbe. Findest du nicht, daß er etwas in der

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