Das Chagrinleder (German Edition)
an. Während der Heimfahrt war Fœdora zerstreut oder gab sich den Anschein, anderes im Kopf zu haben, und antwortete einsilbig und geringschätzig auf meine Fragen. Ich verstummte. Es war ein schrecklicher Moment. Als wir bei ihr angelangt waren, setzten wir uns an den Kamin. Nachdem der Diener das Feuer geschürt und sich entfernt hatte, wandte sich die Comtesse mit einer undurchdringlichen Miene mir zu und sagte mit einer Art Feierlichkeit: »Seit meiner Rückkehr nach Frankreich hat mein Vermögen so manchen jungen Mann in Versuchung geführt; man hat mir Liebeserklärungen gemacht, die meinen Stolz hätten befriedigen können; ich bin Männern begegnet, deren Zuneigung so aufrichtig und so tief war, daß sie mich auch dann noch geheiratet hätten, wenn sie in mir nur das arme Mädchen gefunden hätten, das ich ehemals war. Lassen Sie sich weiterhin sagen, Monsieur de Valentin, daß man mir neue Reichtümer und neue Titel angeboten hat; doch merken Sie sich auch, daß ich diejenigen nie wiedergesehen habe, die so schlecht beraten waren, zu mir von Liebe zu sprechen. Wenn meine Zuneigung zu Ihnen oberflächlich wäre, würde ich Ihnen diese Warnung nicht erteilen, aus der mehr Freundschaft als Stolz spricht. Eine Frau setzt sich der Gefahr aus, beleidigt zu werden, wenn sie sich, in dem Glauben, daß man sie liebt, von vornherein einem doch immer schmeichelhaften Gefühl versagt. Ich kenne die Szenen von Arsinoé, [Fußnote: Arsinoé : Gestalt aus der Komödie »Der Misanthrop« (1666) von Molière (1622-1673)] von Araminte [Fußnote: Araminte : Gestalt aus der Komödie »Die falschen Geständnisse« (1737) von Pierre Marivaux (1688-1763)] und bin folglich auch mit den Antworten vertraut, die ich unter solchen Umständen zu hören bekäme; doch heute hoffe ich, von einem überragenden Mann nicht mißverstanden zu werden, weil ich ihm meine Seele aufrichtig gezeigt habe.« Sie drückte sich mit der Kaltblütigkeit eines Advokaten oder Notars aus, der seinem Klienten das Für und Wider eines Prozesses oder die Artikel eines Vertrags auseinandersetzt. Der helle, bestrickende Klang ihrer Stimme verriet nicht die mindeste Erregung; nur ihr Gesicht und ihre Haltung, wenn auch wie immer vornehm und taktvoll, schienen mir von einer diplomatischen Kälte und Trockenheit. Sie hatte sich offenbar ihre Worte überlegt und den Ablauf dieser Szene geplant. Oh, mein lieber Freund, wenn gewisse Frauen eine Lust daran finden, uns das Herz zu zerreißen, wenn sie vorhaben, uns einen Dolch hineinzustoßen und ihn in der Wunde umzudrehen, so sind diese Frauen anbetungswürdig, denn sie lieben und wollen geliebt sein! Eines Tages werden sie uns für unsere Schmerzen belohnen, wie Gott, heißt es, uns unsere guten Werke anrechnen wird; sie werden uns das Hundertfache des Leides, dessen Tiefe sie erkennen, mit Freuden vergelten: ist ihre Bosheit nicht voller Leidenschaft? Aber von einer Frau gemartert zu werden, die uns mit Gleichgültigkeit tötet, ist das nicht eine wahnwitzige Qual? In diesem Augenblick trat Fœdora, ohne es zu wissen, alle meine Hoffnungen mit Füßen, zerbrach mein Leben und zerstörte meine Zukunft mit der kalten Unbekümmertheit und unschuldigen Grausamkeit eines Kindes, das aus Neugierde einem Schmetterling die Flügel ausreißt. ›Später‹, fügte Fœdora hinzu, werden Sie, hoffe ich, die Zuverlässigkeit der Neigung erkennen, die ich meinen Freunden entgegenbringe. Sie werden mich immer gütig und ergeben ihnen gegenüber finden. Ich könnte ihnen mein Leben weihen, doch würden Sie mich verachten, wenn ich ihre Liebe erduldete, ohne sie zu teilen. Das mag genügen. Sie sind der einzige Mann, dem ich diese letzten Worte je gesagt habe.‹ – Zuerst blieben mir die Worte im Halse stecken, und ich hatte Mühe, den Sturm zu meistern, der in mir aufstieg; bald aber drängte ich meine Erregung auf den Grund meiner Seele zurück und zwang mich zu einem Lächeln. – ›Wenn ich Ihnen sage, daß ich Sie liebe‹, antwortete ich, ›verbannen Sie mich; wenn ich mich der Gleichgültigkeit zeihe, strafen Sie mich. Die Priester, die Ratsherren und die Frauen werfen ihre Robe nie ganz ab. Das Schweigen verpflichtet zu nichts; gestatten Sie also, Madame, daß ich schweige. Um mir so schwesterliche Ratschläge zu erteilen, müssen Sie befürchtet haben, mich zu verlieren, und dieser Gedanke könnte meinen Stolz befriedigen. Aber lassen wir das Persönliche außer acht. Sie sind vielleicht die einzige Frau, mit der
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