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Das Chagrinleder (German Edition)

Das Chagrinleder (German Edition)

Titel: Das Chagrinleder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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körperliches oder seelisches Leid beziehen. War es ein Fluch oder ein Gebet, Erinnerung oder Zukunft, Reue oder Furcht? Ein ganzes Leben lag in diesem Wort, ein Leben in Armut oder Reichtum; es konnte sogar ein Verbrechen bedeuten! Das Rätsel, das in diesem schönen Frauenbild verborgen lag, war wiedererstanden; Fœdora konnte auf so viele Arten erklärt werden, daß sie unerklärlich wurde. Die Züge ihres Atems, die schwach oder stark, schwer oder leicht von ihren Lippen kamen, formten eine Art Sprache, an die ich Gedanken und Gefühle knüpfte. Ich träumte mit ihr und hoffte, in ihre Geheimnisse einzudringen, indem ich mich in ihren Schlaf schlich, ich schwankte zwischen tausend widersprüchlichen Entschlüssen, zwischen tausend verschiedenen Urteilen. Wenn ich dieses schöne Gesicht in seiner Reinheit und Ruhe sah, konnte ich dieser Frau unmöglich ein Herz absprechen. Ich beschloß, noch einen Versuch zu unternehmen. Ich wollte ihr von meinem Leben, meiner Liebe, all meinen Opfern erzählen; vielleicht, daß ich Mitgefühl in ihr erwecken, ihr eine Träne entlocken konnte, ihr, die niemals weinte. Ich war dabei, all meine Hoffnungen auf diese letzte Probe zu setzen, da kündete mir der Lärm von der Straße, daß der Tag anbrach. Einen Augenblick lang stellte ich mir vor, wie Fœdora in meinen Armen erwachte. Ich konnte mich sachte neben sie legen, mich an sie schmiegen und sie umarmen. Diese Vorstellung quälte mich so fürchterlich, daß ich, um ihr zu entrinnen, in den Salon flüchtete, ungeachtet der Geräusche, die ich hervorrief; zum Glück gelangte ich an eine Tapetentür, die zu einer kleinen Treppe führte. Wie vermutet, steckte der Schlüssel im Schloß; ich riß die Tür auf, eilte beherzt in den Hof hinunter und sprang, ohne mich darum zu kümmern, ob mich jemand sah, in drei Sätzen auf die Straße. Zwei Tage später sollte ein Schriftsteller bei der Comtesse ein Lustspiel vorlesen. Ich ging in der Absicht hin, als Letzter zu bleiben, um ihr ein recht sonderbares Anliegen vorzutragen; ich wollte sie bitten, mir den Abend des nächsten Tages zu widmen; ihre Tür sollte für jeden anderen geschlossen bleiben. Als ich mit ihr allein war, sank mein Mut. Jeder Pendelschlag der Uhr machte mir Angst. Es war dreiviertel Zwölf. – »Wenn ich jetzt nicht mit ihr spreche«, sagte ich zu mir selbst, »schlag ich mir den Schädel an der Kaminecke ein.« Ich bewilligte mir drei Minuten Frist; die drei Minuten verstrichen; ich schlug mir nicht den Schädel auf dem Marmor ein, mein Herz war schwer geworden wie ein Schwamm im Wasser. – »Sie sind überaus liebenswürdig«, brach sie endlich das Schweigen. »Ach, Madame«, rief ich, wenn Sie mich verstehen könnten!« – »Was haben Sie?« fragte sie, »Sie werden blaß.« – »Ich will eine Gunst von Ihnen erbitten und wage es nicht.« Sie ermutigte mich mit einer Handbewegung, und ich bat um die Zusammenkunft. – »Gern«, antwortete sie. »Aber warum wollen Sie nicht gleich jetzt zu mir sprechen?« – »Ich will Sie nicht täuschen und muß Ihnen sagen, was Ihr Versprechen beinhaltet: ich möchte diesen Abend mit Ihnen verbringen, als wären wir Geschwister. Fürchten Sie nichts; ich weiß, was Sie nicht leiden mögen; Sie haben mich gut genug kennengelernt, um sicher zu sein, daß ich nichts von Ihnen will, was Ihnen mißfallen könnte; überdies, wer über die gebotene Schranke hinauswill, benimmt sich anders. Sie haben mir Freundschaft bezeigt, Sie sind gut und voller Nachsicht. Nun, Sie sollen wissen: morgen muß ich Ihnen Lebewohl sagen. Nehmen Sie Ihr Wort nicht zurück!« rief ich, da ich sah, daß sie sprechen wollte, und ich enteilte. Im Mai vorigen Jahres, an einem Abend gegen acht Uhr, saß ich allein mit Fœdora in ihrem gotischen Boudoir. Ich zitterte nicht, ich war sicher, glücklich zu werden. Die Frau, die ich liebte, sollte mein werden, oder ich würde in die Arme des Todes fliehen. Ich hatte über meine feige Liebe das Urteil gesprochen. Ein Mann ist sehr stark, wenn er sich seine Schwäche eingesteht. In einem Kleid aus blauem Kaschmir lag die Comtesse ausgestreckt auf einem Diwan; ihre Füße ruhten auf einem Kissen. Ein orientalisches Barett, ein Kopfschmuck, wie ihn die Maler den alten Hebräern verleihen, hatte ihrer verführerischen Erscheinung noch den pikanten Reiz des Fremdartigen hinzugefügt. Auf ihren Zügen lag ein flüchtiger Zauber, der zu beweisen schien, daß wir in einem jeden Augenblick neue und einzigartige Wesen

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