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Das Chagrinleder (German Edition)

Das Chagrinleder (German Edition)

Titel: Das Chagrinleder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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begehen. Die Comtesse ist ein entzückendes Ungeheuer, das um Gnade bitten würde, und ich bin kein Othello!« – »Sie ist wie alle Weiber, die wir nicht haben können«, unterbrach mich Rastignac. – »Ich bin toll!« rief ich; »ich spüre, wie der Wahnsinn zuzeiten in meinem Hirn rast. Meine Gedanken sind wie geisterhafte Gestalten, sie umgaukeln mich, und ich kann sie nicht fassen. Lieber will ich tot sein, als so weiterleben. Und so suche ich nur nach dem besten Mittel, diesem Kampf ein Ende zu machen. Es handelt sich nicht mehr um die lebendige Fœdora des Faubourg Saint-Honoré, sondern um meine Fœdora, um die, die da drinnen wohnt!« rief ich und schlug mit der Hand gegen die Stirn. »Was hältst du vom Opium?« – »Gar nichts! Furchtbare Quälerei!« erwiderte Rastignac. – »Ersticken durch Kohlendunst?« – »Pöbelhaft.« – »Die Seine?« – »Die Netze und die Morgue sind sehr schmutzig.« – »Ein Pistolenschuß?« – »Und wenn du fehlst, bist du für immer entstellt. Höre«, fügte er hinzu, »ich habe wie alle jungen Leute über den Selbstmord nachgedacht. Wer unter uns Dreißigjährigen hätte sich nicht zwei- oder dreimal umgebracht? Ich habe nichts Besseres gefunden, als das Dasein in Vergnügungen zu verschleißen. Stürze dich in Ausschweifungen, dann geht deine Leidenschaft oder du selbst darin zugrunde. Maßlosigkeit, mein Lieber, ist die Königin aller Tode. Gebietet sie nicht über den Schlaganfall? Der Schlaganfall ist ein Pistolenschuß, der nicht fehlgeht. Orgien verschaffen uns leibliche Wonnen in Fülle; sind sie nicht Opium in kleinen Dosen? Wenn wir unmäßig trinken, fordert die Ausschweifung den Wein auf Tod und Leben in die Schranken. Schmeckt das Faß Malvasier des Duc de Clarence [Fußnote: das Faß Malvasier des Duc de Clarence : Der Herzog von Clarence (1449-1478), der gegen seinen Bruder König Eduard IV. konspirierte, wurde zum Tode verurteilt und bat, in einem Faß Wein ertränkt zu werden] nicht besser als der Schlamm der Seine? Wenn wir nobel unter den Tisch rollen, ist das nicht so etwas wie eine periodische Gasvergiftung? Wenn die Patrouille uns aufliest und wir in den Wachstuben auf den kalten Pritschen liegen, genießen wir da nicht die Freuden der Morgue, [Fußnote: Morgue : Pariser Leichenschauhaus] ohne diese häßlich aufgetriebenen Bäuche und blau-grünen Flecken, dafür aber im vollen Bewußtsein der Lage? Oh«, fuhr er fort, »solch langer Selbstmord ist etwas anderes als der Tod eines bankrotten Krämers! Die Kaufleute haben unseren Fluß geschändet; sie stürzen sich ins Wasser, um ihre Gläubiger zu rühren. An deiner Stelle würde ich versuchen, mit Eleganz zu sterben. Willst du eine neue Todesart schaffen, indem du solcherart das Leben herausforderst, bin ich dein Sekundant. Ich langweile mich, ich bin enttäuscht. Die Elsässerin, die man mir zur Frau vorgeschlagen hat, hat sechs Zehen am linken Fuß: ich kann mit keiner Frau leben, die sechs Zehen hat! Das spräche sich herum, und ich wäre lächerlich. Sie hat nur 18000 Francs Rente! zuwenig Geld und zuviel Zehen! Zum Teufel! Führen wir ein tolles Leben, vielleicht packen wir per Zufall das Glück beim Schopfe!« Rastignac riß mich mit. Dieser Plan war zu verführerisch, er entzündete aufs neue zu viele Hoffnungen, kurz, er hatte eine zu poetische Farbe, als daß ein Dichter ihm hätte widerstehen können. – »Und das Geld?« fragte ich. – »Hast du nicht 450 Francs?« – »Ja, aber ich habe Schulden bei meinem Schneider, bei meiner Wirtin.« – »Du bezahlst deinen Schneider? Aus dir wird nie etwas werden, nicht einmal ein Minister.« – »Aber was können wir mit 20 Louisdors anfangen?« – »Spielen gehen.« Mich überlief ein Schauder. »Oh!« rief er, als er meine Scheu bemerkte, »du willst dich auf mein System des wüsten Lebens, wie ich es nenne, werfen und fürchtest dich vor einem grünen Tuch!« – »Höre«, antwortete ich ihm, »ich habe meinem Vater versprochen, nie den Fuß in ein Spielhaus zu setzen. Nicht nur, daß das Versprechen mir heilig ist, ich verspüre auch eine unüberwindliche Abneigung, wenn ich an einer Spielhölle vorbeikomme; nimm meine 100 Taler und geh allein hin! Während du unser Vermögen riskierst, werde ich meine Angelegenheiten in Ordnung bringen und dann in deiner Wohnung auf dich warten.« So also, mein Lieber, rannte ich in mein Verderben. Ein junger Mann braucht nur auf eine Frau zu treffen, die ihn nicht liebt oder die ihn zu sehr

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