Beinah auf den ersten Blick: Roman (German Edition)
1.
Kapitel
»Jetzt kommt endlich! Immer sind wir zu spät!« Ash Parry-Jones, der auf der Veranda wartete, klopfte auf seine Armbanduhr, als Cleo und Will den Kiesweg entlang eilten. »Wir sollten uns rasch einen Platz suchen. Es füllt sich zusehends.«
Als ob es sich um ein Elton-John-Konzert handelte. Cleo blieb stehen, um die gelbgrau gestreifte Krawatte von Ash geradezurücken. »Schimpf nicht. Und es darf ja wohl nicht wahr sein, dass du dieses Hemd trägst.«
Er schien beleidigt. »Auf wem hackst du da eigentlich herum?«
»Auf dir.« Sie zupfte seinen Kragen voller Zuneigung. »Streifen und Spiralen passen nicht zusammen.«
Sie fanden einen Platz auf einer der Kirchenbänke zur Linken. Als die Orgel einsetzte, las Will die Gottesdienstordnung und Cleo sammelte sich – schließlich handelte es sich hier um das Ende eines Lebens –, aber was Beerdigungen anging, war diese eine der fröhlichsten, an denen sie je teilgenommen hatte.
Und was das Sterben an sich anging, so war der Tod von Lawrence LaVenture auch besser gewesen als der der meisten anderen. Man könnte ihn sogar beneidenswert nennen. Wie Lawrence selbst immer gern gesagt hatte, stammte der Familienname aus dem Französischen und bedeutete so viel wie ›glückbringend‹ oder ›vom Glück begünstigt‹, und es hatte ihm stets eine enorme Freude bereitet, dem gerecht zu werden. Welcher flotte 73-Jährige würde, wenn er die Wahl hätte, nicht gern genauso aus dem Leben scheiden, wie er es getan hatte, nach einem exzellenten Mahl und einer Flasche Saint-Émilion, im Bett mit einer attraktiven Brünetten, die viel, viel jünger war als er selbst?
Allerdings bekam die arme Frau, die er für diesen Abend engagiert hatte, einen Heidenschock. Eben noch hatten sie sich prächtig amüsiert, hatten alle möglichen Unanständigkeiten begangen. Und als sie gleich danach mit einer Flasche Cognac und zwei Gläsern zurück ins Schlafzimmer kam, wie Lawrence es sich gewünscht hatte, lag er mausetot auf den Gänsedaunenkissen.
Cleo sah sich in der Kirche um und fragte flüsternd: »Glaubst du, dass sie kommt?«
»Wer?«
»Die Frau, die bei ihm war, als er starb!« Die ihn eigentlich, technisch gesehen , umgebracht hatte, wenn man mal so darüber nachdachte. »Ich möchte zu gern wissen, wie sie aussieht.«
»Es wird die mit der schwarzen Baskenmütze aus Leder sein«, murmelte Will. »Netzstrümpfe, Strumpfhalter, Killerabsätze …«
Cleo versetzte ihm einen Stoß in die Rippen, dann hakte sie sich bei ihm unter, dankbar dafür, dass er sie begleitete. Will war Lawrence LaVenture nie begegnet, aber es war ihr sehr wichtig gewesen, ihn heute an ihrer Seite zu haben, und er hatte sich den Nachmittag extra für sie freigenommen. Er wusste sogar, warum sie ihn gefragt hatte, und hatte nicht gelacht, wofür war sie ihm dankbar war. Es war zweifelsohne einer der glücklicheren Zufälle in ihrem Leben gewesen, als sie Will Newman vor drei Monaten in einem Club getroffen hatte. Sie war in einer überfüllten Kneipe in Bath von hinten angerempelt worden, ihr Drink hatte sich über seinen Ärmel ergossen, und so waren sie ins Gespräch gekommen … mit erstaunlichen Folgen! Will sah gut aus, war charmant und intelligent, arbeitete hart … im Grunde war er in jeder Hinsicht perfekt. Endlich hatte Cleo ihren Traummann gefunden, und sie hätte nicht glücklicher sein können.
»Das könnte sie sein.« Will wies hilfreich auf eine pummelige Frau in den Sechzigern, die sich auf der anderen Seite in eine bereits volle Kirchenbank quetschte. »Die sieht doch total wie eine Edelhure aus.«
»Das ist Effie Farnham aus dem Corner Cottage.«
»Aus ihrer Handtasche lugt eine Lederpeitsche mit Nieten.«
»Sie züchtet Cairn-Terrier. Das ist ein Hundehalsband.«
»Bist du sicher?«
»Vertrau mir, Effie ist nicht der Typ, der peitscht.«
»Man weiß nie. Vielleicht trägt sie unter diesem Mantel etwas absolut Ungehöriges.«
Also bitte, das fiel jetzt definitiv unter die Überschrift ›Zu viel Information‹. Bevor Cleo sich Effie in einem Stringtanga mit Troddeln vorstellen konnte, gab es dankenswerterweise eine Ablenkung in Form der Ankunft von Lawrences’ Familie. Tja, was davon noch übrig war. Cleo hielt den Atem an und sah zu, wie die drei den Gang entlang schritten, zwei uralte, klapprige Schwestern, die in politisch unkorrekten Pelz gehüllt waren und sich auf Elfenbeinstöcke mit Silberknauf stützten. Und zwischen ihnen, an ihr Tempo angepasst,
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